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    <title>pt22.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt22"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000042">Spritztour und Ende</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Wenn nicht die H&#0228;nde gewesen w&#0228;ren, die gro&#0223;en, dicken H&#0228;nde auf dem Lenkrad, die von Zeit zu Zeit zuckten, um den Wagen wieder in die Richtung zu bringen, h&#0228;tte man meinen k&#0246;nnen, man s&#0228;&#0223;e neben einem steinernen Mann. Aeschbacher r&#0252;hrte sich nicht. Sein Mund war fest geschlossen, die Blicke geradeaus gerichtet. Der Scheibenputzer pendelte hin und her und schnitt in die tr&#0252;be Scheibe eine geometrische Figur, die Studer an die Sekundarschule erinnerte.</p><p class="standard">&#0187;Ist Eure Frau Ausl&#0228;nderin?&#0171; fragte er sch&#0252;chtern, um das Schweigen zu brechen.</p><p class="standard">Keine Antwort. Studer schielte nach seinem Begleiter. Da sah er, da&#0223; zwei gro&#0223;e Tr&#0228;nen &#0252;ber die wulstigen Wangen liefen, im Schnurrbart versickerten, zwei neue kamen, verschwanden. Studer blickte scheu beiseite. Es sah tragisch und grotesk aus, wie so vieles im Leben.</p><p class="standard">Eine Hand lie&#0223; das Steuerrad los, suchte in der Tasche. Schneuzen.</p><p class="standard">&#0187;Verdammter Schnupfen&#0171;, t&#0246;nte es heiser. &#0187;Sie ist in Wien aufgewachsen. Die Eltern waren Schweizer.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und was meint sie?&#0171; Studer h&#0228;tte sich ohrfeigen k&#0246;nnen. So etwas sagt man doch nicht! Und es war wirklich ein Fehler. Denn pl&#0246;tzlich traf Studer ein Blick ... Er war b&#0246;sartiger, dieser Blick, als jener, den er damals im &#0187;B&#0228;ren&#0171; erhalten hatte. Wie weit war das weg! Studer sah die kurze Bewegung, mit der Aeschbacher die Karten f&#0228;cherf&#0246;rmig auseinanderbreitete...</p><p class="standard">Ganz ruhig kam nun die Stimme:</p><p class="standard">&#0187;Das h&#0228;ttet Ihr nicht sagen sollen, Wachtmeister!&#0171;</p><p class="standard">Die Stra&#0223;e lief am See entlang. Aber der See war fast nicht zu erkennen. Die ganze Stra&#0223;enbreite lag dazwischen, dann kam eine niedere Mauer, und hinter der niederen Mauer sah man mit M&#0252;he eine gro&#0223;e feuchte Ebene, grau, grau, verschwommen, kalt. Das Auto fuhr langsam.</p><p class="standard">Wie sp&#0228;t war es eigentlich? Studer wollte seine Uhr ziehen, er hatte schon Daumen und Zeigefinger in der Westentasche versenkt, da h&#0246;rte er eine ganz fremde Stimme sagen &#8210; und sie hatte gar keine &#0196;hnlichkeit mehr mit der Stimme des Ansagers vom Radio Bern &#8210;:</p><p class="standard">&#0187;Use, los! Sonst ...&#0171;</p><p class="standard">Studers Uhr flog aus der Westentasche, seine rechte Hand umkrampfte den Griff der T&#0252;rklinke, dr&#0252;ckte sie nieder, ri&#0223; sie in die H&#0246;he (wie funktionierte nur so eine Klinke?), Studer warf seinen massiven K&#0246;rper mit aller Gewalt gegen die T&#0252;r, sie sprang auf, er flog auf die Stra&#0223;e, blieb mit einem Fu&#0223; an der unteren T&#0252;rkante h&#0228;ngen, wurde ein St&#0252;ck mitgeschleift. Seine Schulter, sein Kopf prallten gegen etwas Hartes, ein riesiger Schatten war &#0252;ber ihm, verschwand ... Und dann wurde es endg&#0252;ltig dunkel.</p><p class="standard">&#0187;Nein, jetzt wird nicht mikroskopiert&#0171;, sagte eine tiefe Stimme. Es war Nacht. Irgendwo brannte ein gr&#0252;nes Licht. Studer versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, wo er die Stimme schon einmal geh&#0246;rt hatte.</p><p class="standard">&#0187;Pikrin ...&#0171; fl&#0252;sterte Studer. Er h&#0246;rte ein Lachen.</p><p class="standard">&#0187;Der verdammte Fahnder, nie kann er Ruh&#8217; geben. Passen Sie auf, Schwester. Wie gesagt, alle Stunden Coramin, alle drei Stunden Transpulmin, verstanden? Gott sei Dank, ist er noch ein fester Kerl. Es ist kein Spa&#0223;, wenn man zwei Frakturen hat und dazu noch ...&#0171;</p><p class="standard">Weiter h&#0246;rte Studer nichts. Es war doch einmal ein schwarzer Vorhang dagewesen, jetzt aber senkte sich ein roter &#0252;ber ihn, es rauschte, Glocken l&#0228;uteten. Der Whisky war scharf. Das gab Durst. Wie hatte doch der See ausgesehen? Eine weite Ebene grau, grau, kalt und feucht ..</p><p class="standard">Dann war wieder einmal Sonne da und ein ganz bekanntes Ger&#0228;usch. Studer lauschte. Es klickte ... klickte. Was war das? Fr&#0252;her hatte das Ger&#0228;usch ihn immer verr&#0252;ckt gemacht, er kannte es gut. Was war es nur? Nat&#0252;rlich! Stricknadeln! Er rief leise: &#0187;Hedy!&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja?&#0171;</p><p class="standard">Ein Schatten zwischen ihm und der Sonne.</p><p class="standard">&#0187;Gr&#0252;&#0223; di&#0171;, sagte Studer und blinzelte mit den Augen. &#0187;Sal&#0252;!&#0171; sagte Frau Studer, als ob es die nat&#0252;rlichste Sache von der Welt w&#0228;re.</p><p class="standard">&#8210; Was denn eigentlich mit ihm los sei? fragte Studer. &#8210; N&#0252;t Apartigs, meinte die Frau. Fieber, Brustfellentz&#0252;ndung, Oberarm gebrochen, Schl&#0252;sselbeinfraktur. Er solle froh sein, da&#0223; er noch nicht tot sei.</p><p class="standard">Sie tat dergleichen, als ob sie &#0228;rgerlich sei. Aber hin und wieder pre&#0223;te sie die Lippen zusammen.</p><p class="standard">&#0187;Aebe, jooo&#0171;, sagte Studer und schlief wieder ein.</p><p class="standard">Das dritte Mal ging es schon ganz gut. Da war der Punkt, der stechende Punkt in der Brust verschwunden. Aber der rechte Arm war noch schwer. Studer trank eine Tasse Bouillon und schlief wieder ein.</p><p class="standard">Das vierte Mal wachte er auf, weil ein Heidenkrach vor der Zimmert&#0252;r stattfand. Eine &#0228;rgerliche Stimme verlangte Einla&#0223;, eine andere Stimme (war das nicht der Dr. Neuenschwander?) wurde boshaft und fluchte. Es war alles so unertr&#0228;glich laut.</p><p class="standard">&#0187;Die Leute sollen still sein!&#0171; fl&#0252;sterte Studer.</p><p class="standard">Und wirklich schwiegen sie bald darauf.</p><p class="standard">Und dann kam endlich das gro&#0223;e Erwachen. Es war morgens, k&#0252;hl, das Fenster mu&#0223;te gerade ge&#0246;ffnet worden sein. Das Zimmer war klein, die W&#0228;nde mit gr&#0252;ner &#0214;lfarbe gestrichen. Geranien bl&#0252;hten auf dem Fensterbrett.</p><p class="standard">Eine dicke Schwester war daran, das Zimmer zu kehren.</p><p class="standard">&#0187;Schwester&#0171;, sagte Studer und seine Stimme war fest, &#0187;ich hab Hunger.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;So, so&#0171;, sagte die Schwester nur, kam n&#0228;her, beugte sich &#0252;ber Studer. &#0187;Geht&#8217;s besser?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wo bin ich?&#0171; fragte Studer und begann zu lachen. So fragten doch immer die Helden in den Romanen von ... von ... wie hie&#0223; die alte Trucke nur, die immer Romane schrieb? Felicitas? Ja, Felicitas .. .</p><p class="standard">&#0187;Gemeindespital Gerzenstein&#0171;, sagte die Schwester. Irgendwo spielte Musik.</p><p class="standard">&#0187;Was ist das?&#0171; fragte Studer.</p><p class="standard">&#0187;Hafenmusik &#8210; Hamburg&#0171;, sagte die Schwester. &#0187;Gerzenstein und die Lautsprecher&#0171;, murmelte Studer. Und dann gab es Milch und Weggli und Anken und Konfit&#0252;re. Studer bekam Lust nach einer Brissago. Aber als er diesen Wunsch &#0228;u&#0223;erte, kam er bei der Schwester b&#0246;s an.</p><p class="standard">Und dann kam ein Nachmittag, an dem er allein im Zimmer lag. Seine Frau war nach Bern zur&#0252;ckgefahren und hatte versprochen, ihn am Ende der Woche holen zu kommen.</p><p class="standard">Da kam die Schwester herein, eine Dame (sie sagte &#8250;eine Dame&#8249;) wolle den Wachtmeister sprechen. Studer nickte.</p><p class="standard">Die Haare der Dame waren wei&#0223; wie ... wie ... Flieder.</p><p class="standard">Studer wu&#0223;te, da&#0223; Aeschbacher im See ertrunken war. Ein Ungl&#0252;cksfall, war ihm gesagt worden. Studer hatte genickt.</p><p class="standard">Die Dame setzte sich an Studers Bett, die Schwester ging hinaus. Die Dame schwieg.</p><p class="standard">&#0187;Bonjour Madame&#0171;, sagte Studer mit einem hilflosen Versuch, zu scherzen. Die Dame nickte.</p><p class="standard">Schweigen. Eine Hummel strich summend durchs Zimmer. Es mu&#0223;te wohl Ende Juni sein.</p><p class="standard">&#0187;Es war meine Schuld&#0171;, sagte Studer leise. &#0187;Ich hab ihn nach Ihnen gefragt, Madame, und da hat er geweint. Die Tr&#0228;nen sind ihm &#0252;ber die Wangen gelaufen. Ja. Und dann hab ich ihn noch gefragt, was Sie gemeint h&#0228;tten, so, zu der ganzen Sache. Dann hat er mich noch gewarnt. Ich habe gerade Zeit gehabt, aus dem Wagen zu springen. Ich mein&#8217; er ist dann &#0252;ber die Mauer... Glauben Sie nicht, es ist besser so?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, sagte die Dame. Sie weinte nicht. Sie hatte die Hand auf Studers Arm gelegt. Eine sehr leichte Hand.</p><p class="standard">&#0187;Ich sage nichts, Madame&#0171;, sprach Studer ganz leise. &#0187;Danke, Herr Studer.&#0171;</p><p class="standard">Das war alles.</p><p class="standard">Und einmal kam Sonja Witschi. Sie bedankte sich. Die Versicherung war nicht ausbezahlt worden. Der Untersuchungsrichter hatte sie alle drei vorgeladen, die Mutter, Armin und Sonja. Man hatte davon abgesehen, eine Klage auf Versicherungsbetrug zu stellen. Man war froh, den ganzen Fall Witschi ad acta zulegen...</p><p class="standard">&#8210; Wie es dem Schlumpf ginge, wollte Studer wissen. &#8210; Gut, sagte Sonja und wurde rot.</p><p class="standard">... Die Sommersprossen auf dem Nasensattel, an den Schl&#0228;fen...</p><p class="standard">&#8210; Armin werde auch bald heiraten, sagte sie. Die Mutter habe noch immer den Bahnhofkiosk.</p><p class="standard">Und zum Schlu&#0223; kam der Untersuchungsrichter. Sein seidenes Hemd war diesmal cremefarben. Den Siegelring trug er noch immer.</p><p class="standard">&#0187;Ich war schon einmal da, Herr Studer&#0171;, sagte er. &#0187;Aber der Arzt war so grob. Ich wundere mich immer &#0252;ber den Mangel an guter Kinderstube bei akademisch gebildeten Leuten, bei Medizinern vor allem.&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Das sei nun einmal so, meinte Studer. Er hatte die H&#0228;nde auf der Bettdecke gefaltet und drehte die Daumen umeinander.</p><p class="standard">&#0187;Warum sind Sie damals mit Aeschbacher gefahren, Herr Studer? Hatten Sie etwas Wichtiges entdeckt? Sie machten damals so merkw&#0252;rdige Andeutungen? Hat Witschi eigentlich keinen Selbstmord begangen, war es doch ein Mord? Hat Ihnen der selige Herr Gemeindepr&#0228;sident etwas mitgeteilt? Etwas Wichtiges? Das er auch mir mitteilen wollte? Sie schweigen, Studer? Was hat Ihnen Aeschbacher mitgeteilt, da&#0223; Sie es so eilig hatten, mit ihm nach Thun zu fahren?&#0171;</p><p class="standard">Studer starrte zur Decke, schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er, und seine Stimme war ausdrucklos:</p><p class="standard">&#0187;N&#0252;t Apartigs ...&#0171;</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="Tkzentriert">-- ENDE --</p></div></div></div></body>
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