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    <title>pt02.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt02"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000002">Einer will nicht mehr mitmachen</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Der Gefangenenw&#0228;rter mit dem dreifachen Kinn und der roten Nase brummte etwas von &#0187;ewigem Gst&#0252;rm&#0171;, &#8210; weil ihn Studer vom Mittagessen wegholte. Aber Studer war immerhin ein Fahnderwachtmeister von der Berner Kantonspolizei, und so konnte man ihn nicht ohne weiteres zum Teufel jagen.</p><p class="standard">Der W&#0228;rter Liechti stand also auf, f&#0252;llte sein Wasserglas mit Rotwein, leerte es auf einen Zug, nahm einen Schl&#0252;sselbund und kam mit zum H&#0228;ftling Schlumpf, den der Wachtmeister vor knapp einer Stunde eingeliefert hatte.</p><p class="standard">G&#0228;nge ... Dunkle lange G&#0228;nge ... Die Mauern waren dick. Das Schlo&#0223; Thun schien f&#0252;r Ewigkeiten gebaut. &#0220;berall hockte noch die K&#0228;lte des Winters.</p><p class="standard">Es war schwer, sich vorzustellen, da&#0223; drau&#0223;en ein warmer Maientag &#0252;ber dem See lag, da&#0223; in der Sonne Leute spazieren gingen, unbeschwert, da&#0223; andere in Booten auf dem Wasser schaukelten und sich die Haut braun brennen lie&#0223;en.</p><p class="standard">Die Zellent&#0252;re ging auf. Studer blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Zwei waagrechte, zwei senkrechte Eisenstangen durchkreuzten das Fenster, das hoch oben lag. Der Dachfirst eines Hauses war zu sehen &#8210; mit alten, schwarzen Ziegeln &#8210; und &#0252;ber ihm wehte als blendend blaues Tuch der Himmel.</p><p class="standard">Aber an der unteren Eisenstange hing einer! Der Lederg&#0252;rtel war fest verkn&#0252;pft und bildete einen Knoten. Dunkel hob sich ein schiefer K&#0246;rper von der wei&#0223;gekalkten Wand ab. Die F&#0252;&#0223;e ruhten merkw&#0252;rdig verdreht auf dem Bett. Und im Nacken des Erh&#0228;ngten gl&#0228;nzte die G&#0252;rtelschnalle, weil ein Sonnenstrahl sie von oben traf.</p><p class="standard">&#0187;Herrgott!&#0171; sagte Studer, scho&#0223; vor, sprang aufs Bett &#8210; und der W&#0228;rter Liechti wunderte sich &#0252;ber die Beweglichkeit des &#0228;lteren Mannes &#8210; packte den K&#0246;rper mit dem rechten Arm, w&#0228;hrend die linke Hand den Knoten aufkn&#0252;pfte.</p><p class="standard">Studer fluchte, weil er sich einen Nagel abgebrochen hatte. Dann stieg er vom Bett und legte den leblosen K&#0246;rper sanft nieder.</p><p class="standard">&#0187;Wenn Ihr nicht so verdammt r&#0252;ckst&#0228;ndig w&#0228;ret&#0171;, sagte Studer, &#0187;und wenigstens Drahtgitter vor den Fenstern anbringen w&#0252;rdet, dann k&#0246;nnten solche Sachen nicht passieren. &#8210; So! Aber jetzt spring, Liechti, und hol den Doktor!&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, ja!&#0171; sagte der W&#0228;rter &#0228;ngstlich und humpelte davon.</p><p class="standard">Zuerst machte der Fahnderwachtmeister k&#0252;nstliche Atmung. Es war wie ein Reflex. Etwas, das aus der Zeit stammte, da er einen Samariterkurs mitgemacht hatte. Und erst nach f&#0252;nf Minuten fiel es Studer ein, das Ohr auf die Brust des Liegenden zu legen und zu lauschen, ob das Herz noch schlage. Ja, es schlug noch. Langsam. Es klang wie das Ticken einer Uhr, die man vergessen hat aufzuziehen; Studer pumpte weiter mit den Armen des Liegenden. Unter dem Kinn durch, von einem Ohr zum andern, lief ein roter Streifen.</p><p class="standard">&#0187;Aber Schlumpfli!&#0171; sagte Studer leise. Er nahm sein Nastuch aus der Tasche, wischte sich zuerst selbst die Stirne ab, dann fuhr er mit dem Tuch &#0252;ber das Gesicht des Burschen. Ein Bubengesicht: jung, zwei dicke Falten &#0252;ber der Nasenwurzel. Trotzig. Und sehr bleich.</p><p class="standard">Das war also der Schlumpf Erwin, den man heut morgen in einem Krachen des Oberaargaus verhaftet hatte. Schlumpf Erwin, angeklagt des Mordes an Witschi Wendelin, Kaufmann und Reisender in Gerzenstein.</p><p class="standard">Zufall, da&#0223; man zur rechten Zeit gekommen war! Vor einer Stunde etwa hatte man den Schlumpf ordnungsgem&#0228;&#0223; im Gef&#0228;ngnis eingeliefert, der W&#0228;rter mit dem dreifachen Kinn hatte unterschrieben &#8210; man konnte getrost den Zug nach Bern nehmen und die ganze Sache vergessen. Es war nicht die erste Verhaftung, die man vorgenommen hatte, es w&#0252;rde auch nicht die letzte sein. Warum hatte man das Bed&#0252;rfnis versp&#0252;rt den Schlumpf Erwin noch einmal zu besuchen?</p><p class="standard">Zufall?</p><p class="standard">Vielleicht ... Was ist schon Zufall? ... Es war nicht zu leugnen, da&#0223; man dem Schicksal des Schlumpf Erwin teilnahmsvoll gegen&#0252;berstand. Richtiger gesagt, da&#0223; man den Schlumpf Erwin liebgewonnen hatte... Warum? ... Studer in der Zelle strich sich ein paar Male mit der flachen Hand &#0252;ber den Nacken. Warum? Weil man keinen Sohn gehabt hatte? Weil der Verhaftete auf der ganzen Reise seine Unschuld beteuert hatte? Nein. Unschuldig sind sie alle. Aber die Beteuerungen des Schlumpf Erwin hatten ehrlich geklungen. Obwohl...</p><p class="standard">Obwohl der Fall eigentlich ganz klar lag. Den Kaufmann und Reisenden Wendelin Witschi hatte man am Mittwochmorgen mit einem Einschu&#0223; hinter dem rechten Ohr, auf dem Bauche liegend, in einem Walde in der N&#0228;he von Gerzenstein aufgefunden. Die Taschen der Leiche waren leer... Die Frau des Ermordeten hatte behauptet, ihr Mann habe dreihundert Franken bei sich getragen.</p><p class="standard">Und am Mittwochabend hatte Schlumpf im Gasthof zum &#0187;B&#0228;ren&#0171; eine Hunderternote gewechselt ...</p><p class="standard">Am Donnerstagmorgen wollte ihn der Landj&#0228;ger verhaften, aber Schlumpf war geflohen.</p><p class="standard">So war es eben gekommen, da&#0223; der Polizeihauptmann am Donnerstagabend den Wachtmeister Studer in seinem Bureau aufgesucht hatte:</p><p class="standard">&#0187;Studer, du mu&#0223;t an die frische Luft. Morgen fr&#0252;h gehst du den Schlumpf Erwin verhaften. Es wird dir gut tun. Du wirst zu dick ...&#0171;</p><p class="standard">Es stimmte, leider... Gewi&#0223;, sonst schickte man zu solchen Verhaftungen Gefreite. Es hatte den Fahnderwachtmeister getroffen ... Auch Zufall? ... Schicksal? ...</p><p class="standard">Genug, man war an den Schlumpf geraten, und man hatte ihn liebgewonnen. Eine Tatsache! Mit Tatsachen, auch wenn sie nur Gef&#0252;hle betreffen, mu&#0223; man sich abfinden.</p><p class="standard">Der Schlumpf! Sicherlich kein wertvoller Mensch! Man kannte ihn auf der Kantonspolizei. Ein Unehelicher. Die Beh&#0246;rde hatte sich fast st&#0228;ndig mit ihm besch&#0228;ftigen m&#0252;ssen. Sicher wogen die Akten auf der Armendirektion mindestens anderthalb Kilo. Lebenslauf?</p><p class="standard">Verdingbub bei einem Bauern. Diebst&#0228;hle. &#8210; Vielleicht hat er Hunger gehabt? Wer kann das hinterdrein noch feststellen? &#8210; Dann ging es, wie es in solchen F&#0228;llen immer geht. Erziehungsanstalt Tessenberg. Ausbruch. Diebstahl. Wieder gefa&#0223;t. Gepr&#0252;gelt. Endlich entlassen. Einbruch. Witzwil. Entlassen. Einbruch. Thorberg drei Jahre. Entlassen. Und dann hatte es Ruhe gegeben &#8210; zwei volle Jahre. Der Schlumpf hatte in der Baumschule Ellenberger in Gerzenstein gearbeitet. Sechzig Rappen Stundenlohn. Hatte sich in ein M&#0228;dchen verliebt. Die beiden wollten heiraten. Heiraten! Studer schnaubte durch die Nase. So ein Bursch und heiraten! Und dann war der Mord an dem Wendelin Witschi passiert...</p><p class="standard">Es war ja bekannt, da&#0223; der alte Ellenberger in seinen Baumschulen mit Vorliebe entlassene Str&#0228;flinge anstellte. Nicht nur, weil sie billige Arbeitskr&#0228;fte waren, nein, der Ellenberger schien sich in ihrer Gesellschaft wohlzuf&#0252;hlen. Nun, jeder Mensch hat seinen Sparren, und es war nicht zu leugnen, da&#0223; die R&#0252;ckf&#0228;lligen sich ganz gut hielten beim alten Ellenberger...</p><p class="standard">Und nur weil der Schlumpf am Mittwochabend eine Hunderternote im B&#0228;ren gewechselt hatte, sollte er den Raubmord begangen haben? ... Der Bursche hatte das so erkl&#0228;rt: es sei erspartes Geld gewesen, er habe es bei sich getragen ...</p><p class="standard">Chabis! ... Erspart! ... Bei sechzig Rappen Stundenlohn? Das machte im Monat rund hundertf&#0252;nfzig Franken ... Zimmermiete drei&#0223;ig ... Essen? &#8210; Zwei Franken f&#0252;nfzig am Tag f&#0252;r einen Schwerarbeiter war wenig gerechnet. F&#0252;nfundsiebzig und drei&#0223;ig macht hundertf&#0252;nf, W&#0228;sche f&#0252;nf &#8210; Cigaretten, Wirtschaft, Tanz, Haarschneiden, Bad &#8210; Blieben im besten Falle f&#0252;nf Franken im Monat. Und dann sollte er in zwei Jahren dreihundert Franken erspart haben? Unm&#0246;glich! Das Geld bei sich getragen haben? Psychologisch undenkbar. Solche Leute k&#0246;nnen kein Geld in der Tasche tragen, ohne es zu verputzen ... Auf der Bank? Vielleicht. Aber nur so in der Brieftasche? ...</p><p class="standard">Und doch, der Schlumpf hatte dreihundert Franken bei sich gehabt. Nicht ganz. Zwei Hunderternoten und etwa achtzig Franken. Studer sah das Einlieferungsprotokoll, das er unterzeichnet hatte:</p><p class="standard">&#0187;Portemonnaie mit Inhalt: 282 Fr. 25.&#0171;</p><p class="standard">Also ... Es stimmte alles! Sogar der Fluchtversuch im Bahnhof Bern. Ein dummer Fluchtversuch! Kindisch! Und doch so begreiflich! Diesmal langte es ja f&#0252;r lebensl&#0228;nglich...</p><p class="standard">Studer sch&#0252;ttelte den Kopf. Und doch! Und doch! Etwas stimmte nicht an der ganzen Sache. Vorerst war es nur ein Eindruck, ein gewisses unangenehmes Gef&#0252;hl. Und der Fahnderwachtmeister fr&#0246;stelte. Diese Zelle war kalt. Kam denn der Doktor nicht bald?</p><p class="standard">Wollte der Schlumpf eigentlich gar nicht aufwachen? ... Ein tiefer Atemzug hob die Brust des Liegenden, die verdrehten Augen kamen in die richtige Stellung und Schlumpf sah den Wachtmeister an. Studer fuhr zur&#0252;ck.</p><p class="standard">Ein unangenehmer Blick. Und jetzt &#0246;ffnete Schlumpf den Mund und schrie. Ein heiserer Schrei &#8210; Schrecken, Abwehr, Furcht, Entsetzen ... Viel lag in dem Schrei. Er wollte nicht enden.</p><p class="standard">&#0187;Still! Willst still sein!&#0171; fl&#0252;sterte Studer. Er bekam Herzklopfen. Schlie&#0223;lich tat er das einzig m&#0246;gliche: er legte seine Hand auf den lauten Mund...</p><p class="standard">&#0187;Wenn du still bist&#0171;, sagte der Wachtmeister, &#0187;dann bleib ich noch eine Weile bei dir, und du kannst eine Zigarette rauchen, wenn der Doktor fort ist. H&#0228;? Ich bin doch noch zur rechten Zeit gekommen...&#0171; und versuchte ein L&#0228;cheln.</p><p class="standard">Aber das L&#0228;cheln wirkte auf den Schlumpf durchaus nicht ansteckend. Zwar sein Blick wurde sanfter, aber als Studer seine Hand vom Munde fortnahm, sagte Schlumpf leise:</p><p class="standard">&#0187;Warum habt Ihr mich nicht h&#0228;ngen lassen, Wachtmeister?&#0171;</p><p class="standard">Schwer auf diese Frage eine richtige Antwort zu finden! Man war doch kein Pfarrer...</p><p class="standard">Es war still in der Zelle. Drau&#0223;en tschilpten Spatzen. Im Hof unten sang ein kleines M&#0228;dchen mit d&#0252;nner Stimme:</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkEinzug1">&#0187;O du liebs Engeli,</p><p class="TkEinzug1">Rosmarinstengeli,</p><p class="TkEinzug1">Alliweil, alliweil, blib i dir treu ...&#0171;</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Da sagte Studer und seine Stimme klang heiser:</p><p class="standard">&#0187;Eh, du hast mir doch erz&#0228;hlt, da&#0223; du heiraten willst? Das Meitschi ... es wird doch zu dir halten, oder? Und wenn du sagst, du bist unschuldig, so ist&#8217;s doch gar nicht sicher, da&#0223; du verurteilt wirst. Und du kannst dir doch denken, da&#0223; ein Selbstmordversuch die gr&#0246;&#0223;te Dummheit gewesen ist, die du hast machen k&#0246;nnen. Das wird dir als Gest&#0228;ndnis ausgelegt ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Es war doch kein Versuch. Ich hab wirklich ...&#0171;</p><p class="standard">Aber Studer brauchte nicht zu antworten. Es kamen Schritte den Gang entlang, der W&#0228;rter Liechti sagte: &#0187;Da drin ist er, Herr Doktor.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Scho wieder z&#8217;w&#0228;g?&#0171; fragte der Doktor und griff nach Schlumpfs Handgelenk. &#0187;K&#0252;nstliche Atmung? Fein!&#0171;</p><p class="standard">Studer stand vom Bett auf und lehnte sich gegen die Wand.</p><p class="standard">&#0187;Ja, also&#0171;, sagte der Doktor. &#0187;Was machen wir mit ihm? Selbstgef&#0228;hrlich! Suicidal! Na ja, das kennt man. Wir werden eine psychiatrische Expertise verlangen ... Nicht wahr?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Herr Doktor, ich will nicht ins Irrenhaus&#0171;, sagte Schlumpf laut und deutlich, dann hustete er.</p><p class="standard">&#0187;So? Und warum nicht? Na ja, dann k&#0246;nnte man ... Ihr habt doch sicher eine Zweierzelle, Liechti, in die man den Mann legen k&#0246;nnte, damit er nicht so allein ist ... Geht das? Fein ...&#0171;</p><p class="standard">Dann, leise, so, wie man auf dem Theater fl&#0252;stert, jedes Wort verst&#0228;ndlich: &#0187;Was hat er angestellt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Gerzensteiner Mord!&#0171; fl&#0252;sterte der W&#0228;rter ebenso deutlich zur&#0252;ck.</p><p class="standard">&#0187;Ah, ah&#0171;, nickte der Doktor bek&#0252;mmert &#8210; so schien es wenigstens. Schlumpf drehte den Kopf, sah hin&#0252;ber zum Wachtmeister. Studer l&#0228;chelte, Schlumpf l&#0228;chelte zur&#0252;ck. Sie verstanden sich.</p><p class="standard">&#0187;Und wer ist dieser Herr da?&#0171; fragte der Arzt. Das L&#0228;cheln der beiden brachte ihn in Verlegenheit.</p><p class="standard">Studer trat so heftig vor, da&#0223; der Doktor einen Schritt zur&#0252;ckwich. Der Wachtmeister stand steif da. Sein bleiches Gesicht mit der merkw&#0252;rdig schmalen Nase pa&#0223;te nicht so recht zu dem ein wenig verfetteten K&#0246;rper.</p><p class="standard">&#0187;Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei!&#0171; Es klang aufr&#0252;hrerisch und bockig.</p><p class="standard">&#0187;So, so! Freut mich, freut mich! Und Sie sind mit der Untersuchung des Falles betraut?&#0171; Der blonde Arzt versuchte seine Sicherheit wiederzugewinnen.</p><p class="standard">&#0187;Ich hab ihn verhaftet&#0171;, sagte Studer kurz. &#0187;&#0220;brigens, ich will gern noch eine Weile bei ihm bleiben bis er sich beruhigt hat. Ich hab Zeit. Der n&#0228;chste Zug nach Bern f&#0228;hrt erst um halb f&#0252;nf ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Fein!&#0171; sagte der Arzt. &#0187;Wunderbar! Tut das nur, Wachtmeister. Und heut abend legt Ihr mir den Mann in eine Zweierzelle. Verstanden, Liechti?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Jawohl, Herr Doktor.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Lebet wohl miteinander&#0171;, sagte der Arzt und setzte den Hut auf. Liechti fragte ob er schlie&#0223;en solle. Studer winkte ab. Gegen Haftpsychosen waren wohl offene T&#0252;ren das wirksamste Gegenmittel.</p><p class="standard">Und die Schritte verhallten im Gang.</p><p class="standard">Umst&#0228;ndlich setzte Studer den Strohhalm in Brand, den er aus der Brissago gezogen hatte, hielt die Flamme unter das Ende derselben, wartete bis der Rauch oben herausquoll und steckte sie dann in den Mund.</p><p class="standard">Dann zog er ein gelbes P&#0228;ckli aus der Tasche, sagte: &#0187;So, nimm eine!&#0171; Schlumpf sog den ersten Zug der Zigarette tief in die Lungen. Seine Augen leuchteten. Studer setzte sich aufs Bett.</p><p class="standard">&#8210; Der Wachtmeister sei ein Guter, sagte der Schlumpf.</p><p class="standard">Und Studer mu&#0223;te sich zusammennehmen, um ein merkw&#0252;rdiges Gef&#0252;hl im Halse zu unterdr&#0252;cken. Um es zu vertreiben, g&#0228;hnte er ausgiebig.</p><p class="standard">&#0187;So, Schlumpfli&#0171;, sagte er dann. &#0187;Und jetzt. Warum hast du Schlu&#0223; machen wollen?&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Das k&#0246;nne man nicht so ohne weiteres sagen, meinte der Schlumpf. Es sei ihm alles verleidet gewesen. Und er kenne ja den Betrieb. Wenn man einmal verhaftet sei, dann k&#0228;me man nicht mehr los. Vorbestraft! &#8210; Und jetzt werde es f&#0252;r lebensl&#0228;nglich langen ... Und das Meitschi, von dem der Wachtmeister gesprochen habe, das werde ja wohl auch nicht warten wollen. Es w&#0228;re sch&#0246;n dumm, wenn es das t&#0228;te. &#8210; Wer denn das Meitschi sei? &#8210; Es hei&#0223;e Sonja und sei die Tochter vom ermordeten Witschi. &#8210; Und ob die Sonja glaube, da&#0223; er den Mord begangen habe? &#8210; Das wisse er nicht. Er sei einfach fort, damals, als er geh&#0246;rt habe, man beschuldige ihn. &#8210; Wie das denn zugegangen sei, da&#0223; man gerade auf ihn verfallen sei? &#8210; Eh, wegen der Hunderternote, die er im &#0187;Leuen&#0171; gewechselt habe. &#8210; Im &#0187;Leuen?&#0171; Nicht im &#0187;B&#0228;ren&#0171;? &#8210; Es k&#0246;nne auch im &#0187;B&#0228;ren&#0171; gewesen sein. Nat&#0252;rlich im &#0187;B&#0228;ren&#0171;! Der &#0187;Leuen&#0171; sei die f&#0252;rnehme Wirtschaft, da h&#0228;tten sie einmal bei einem Anla&#0223; aufgespielt...</p><p class="standard">&#0187;Bei welchem Anla&#0223;? Und wer hat aufgespielt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Bei einer Hochzeit. Der Buchegger hat Klarinette gespielt, der Schreier Klavier und der Bertel Ba&#0223;geige. Und ich Handharfe ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Schreier? &#8210; Buchegger? &#8210; Die &#8210; die kenn&#8217; ich doch!&#0171; Studer runzelte die Stirn.</p><p class="standard">&#0187;Denk wohl!&#0171; sagte der Schlumpf, und ein kleines L&#0228;cheln entstand in seinen Mundwinkeln. &#0187;Der Buchegger hat oft von Euch erz&#0228;hlt und der Schreier auch. Ihr habt ihn vor drei Jahren geschnappt ...&#0171;</p><p class="standard">Studer lachte. So, so! Alte Bekannte! &#8210; Und die h&#0228;tten sich also zu einer L&#0228;ndlerkapelle zusammengetan?</p><p class="standard">&#0187;L&#0228;ndlerkapelle?&#0171; Schlumpf tat beleidigt. &#0187;Nein! Ein richtiger Jazzband. Der Ellenberger, unser Meister, hat uns sogar einen englischen Namen gegeben: &#8250;The Convict Band&#8249;! Das soll hei&#0223;en: Die Str&#0228;flingsmusik ...&#0171;</p><p class="standard">Der Bursche Schlumpf schien ganz zufrieden zu sein, von nebens&#0228;chlichen Dingen zu sprechen. Aber wenn man vom Mord anfing, versuchte er abzubiegen.</p><p class="standard">Studer war einverstanden. Der Schlumpf sollte nur abschweifen, wenn er Freude daran hatte. Nicht dr&#0228;ngen! Es kommt alles von selbst, wenn man gen&#0252;gend Geduld hat ...</p><p class="standard">&#0187;Dann habt Ihr auch in den umliegenden D&#0246;rfern gespielt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Sowieso!&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und ordentlich Geld verdient?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Z&#0252;nftig ...&#0171; Z&#0246;gern. Schweigen.</p><p class="standard">&#0187;Also, Schlumpfli, ich will dir ja glauben, da&#0223; du den Witschi nicht umgebracht hast &#8210; um ihm die Brieftasche zu rauben. Dreihundert Franken hast du erspart gehabt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, dreihundert Erspartes ...&#0171; Schlumpf blickte zum Fenster auf, seufzte, vielleicht weil der Himmel so blau war.</p><p class="standard">&#0187;Du hast also die Tochter vom Ermordeten heiraten wollen? Sonja hie&#0223; sie? Und die Eltern, die waren einverstanden?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Der Vater schon; der alte Witschi hat gesagt, ihm sei es gleich. Er war oft beim Ellenberger zu Besuch und dort hat er mit mir gesprochen, der Ermordete, wie Ihr sagt ... Er hat gemeint, ich sei ein ordentlicher Bursch, und wenn ich auch ein Vorbestrafter sei, man solle nicht zu Gericht sitzen, und wenn ich einmal die Sonja zur Frau h&#0228;tte, dann w&#0252;rde ich keine Dummheiten mehr machen. Die Sonja sei ein ordentliches Meitschi ... Und dann hat mir mein Meister die Oberg&#0228;rtnerstelle versprochen, weil doch der Cottereau schon alt ist und ich t&#0252;chtig bin ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Cottereau? Hat der die Leiche gefunden?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja. Er geht jeden Morgen spazieren. Der Meister l&#0228;&#0223;t ihn machen, was er will. Der Cottereau stammt aus dem Jura, aber man merkt ihm das Welsche nicht mehr an. Am Mittwochmorgen ist er in die Baumschule gelaufen gekommen und hat erz&#0228;hlt, im Walde liege der Witschi, erschossen... Dann hat ihn der Meister gleich auf den Landj&#0228;gerposten geschickt, um die Meldung zu machen.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und was hast du gemacht, nachdem du vom Cottereau die Neuigkeit erfahren hast?&#0171;</p><p class="standard">Ach, meinte der Schlumpf, sie h&#0228;tten alle Angst gehabt, weil der Verdacht auf sie fallen m&#0252;sse, als Vorbestrafte. Aber den ganzen Tag sei es ruhig gewesen, niemand sei in die Baumschule gekommen. Nur der Cottereau habe sich nicht beruhigen k&#0246;nnen, bis ihn der Meister angeschnauzt habe, er solle mit dem G&#8217;st&#0252;rm aufh&#0246;ren ...</p><p class="standard">&#0187;Und am Mittwochabend hast du die hundert Franken im &#8250;B&#0228;ren&#8249; gewechselt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Am Mittwochabend, ja ...&#0171;</p><p class="standard">Stille. Studer hatte das P&#0228;ckchen Parisiennes neben sich liegen lassen. Ohne zu fragen nahm Schlumpf eine Zigarette, der Wachtmeister gab ihm die Schachtel Z&#0252;ndh&#0246;lzer und sagte:</p><p class="standard">&#0187;Versteck beides. Aber la&#0223; dich nicht erwischen!&#0171; Schlumpf l&#0228;chelte dankbar.</p><p class="standard">&#0187;Wann habt Ihr Feierabend in der Baumschule?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Um sechs. Wir haben den Zehnstundentag.&#0171; Dann</p><p class="standard">f&#0252;gte Schlumpf eifrig hinzu: &#0187;&#0220;berhaupt, in der G&#0228;rtnerei kenn ich mich aus. Der Vorarbeiter auf dem Tessenberg hat immer gesagt, ich kann etwas. Und ich schaff&#8217; gern ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Das ist mir gleich!&#0171; Studer sprach absichtlich streng. &#0187;Nach dem Feierabend bist du ins Dorf, in dein Zimmer. Wo hast du gewohnt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Bei Hofmanns, in der Bahnhofstra&#0223;e. Ihr findet das Haus leicht. Die Frau Hofmann war eine Gute ... Sie haben eine Korberei.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Das interessiert mich nicht! Du bist in dein Zimmer, hast dich gewaschen. Dann bist du zum Nachtessen gegangen? Oder?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Also: sechs Uhr Feierabend.&#0171; Studer zog ein Notizheft aus der Tasche und begann nachzuschreiben. &#0187;Sechs Uhr Feierabend, halb sieben &#8210; viertel vor sieben Nachtessen ...&#0171; Aufblickend: &#0187;Hast du schnell gegessen? Langsam? Hast du Hunger gehabt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Nicht viel Hunger ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Dann hast du schnell gegessen und warst um sieben fertig ...&#0171;</p><p class="standard">Studer schien in sein Notizbuch zu starren, aber seine Augen waren beweglich. Er sah die Ver&#0228;nderung in den Gesichtsz&#0252;gen des Schlumpf und unterbrach die Spannung, indem er harmlos fragte:</p><p class="standard">&#0187;Wieviel hast du f&#0252;r das Nachtessen bezahlt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Eins f&#0252;nfzig. Zu Mittag hab ich immer beim Ellenberger eine Suppe gegessen und Brot und K&#0228;s mitgebracht. Der Ellenberger hat nur f&#0252;nfzig Rappen f&#0252;r den Teller Suppe verlangt, und z&#8217;Immis hat er umsonst gegeben, denn der Ellenberger war immer anst&#0228;ndig mit uns, wir haben ihn gern gehabt, er hat so kohlig dahergeredet, er sieht aus, wie ein uralter Mann, hat keine Z&#0228;hne mehr, aber...&#0171; dies alles in einem Atemzug, als ob der Redende vor einer Unterbrechung Angst h&#0228;tte. Doch Studer wollte diesmal auf das Geschw&#0228;tz nicht eingehen.</p><p class="standard">&#0187;Was hast du am Mittwochabend zwischen sieben und acht Uhr gemacht?&#0171; fragte er streng. Er hielt den Bleistift zwischen den mageren Fingern und blickte nicht auf.</p><p class="standard">&#0187;Zwischen sechs und sieben?&#0171; Schlumpf atmete schwer.</p><p class="standard">&#0187;Nein, zwischen sieben und acht. Um sieben warst du mit dem Nachtessen fertig, um acht hast du im &#0187;B&#0228;ren&#0171; eine Hunderternote gewechselt. Wer hat dir die dreihundert Franken gegeben?&#0171;</p><p class="standard">Und Studer blickte den Burschen fest an. Schlumpf drehte den Kopf zur Seite, pl&#0246;tzlich warf er sich herum, dr&#0252;ckte die Augen in die Ellbogenbeuge. Sein K&#0246;rper zitterte.</p><p class="standard">Studer wartete. Er war nicht unzufrieden. Mit kleinen Buchstaben schrieb er in sein Notizbuch: &#0187;Sonja Witschi&#0171; und malte hinter die Worte ein gro&#0223;es Fragezeichen. Dann wurde seine Stimme weich, als er sagte:</p><p class="standard">&#0187;Schlumpfli, wir werden die Sache schon einrenken. Ich hab&#8217; dich extra nicht gefragt, was du am Dienstagabend, also am Abend vor dem Mord, getan hast. Da h&#0228;ttest du mich doch nur angelogen. Und dann steht es sicher in den Akten, und ich kann auch deine Wirtin fragen ... Aber sag mir noch: Was ist die Sonja f&#0252;r ein Meitschi? Ist sie das einzige Kind?&#0171;</p><p class="standard">Schlumpfs Kopf fuhr in die H&#0246;he.</p><p class="standard">&#0187;Ein Bruder ist noch da. Der Armin!&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und den Armin magst du nicht?&#0171;</p><p class="standard">Dem habe er einmal z&#0252;nftig auf den Gring gegeben, sagte Schlumpf und zeigte die Z&#0228;hne wie ein knurrender Hund. &#0187;Der Armin hat dir die Schwester nicht g&#0246;nnen m&#0246;gen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja; und mit dem Vater hat er auch immer Krach gehabt.</p><p class="standard">Der Witschi hat sich oft genug &#0252;ber ihn beklagt ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Soso ... Und die Mutter?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Die Alte hat immer Romane gelesen ...&#0171; (&#0187;die Alte&#0171;, sagte der Bursche respektlos). &#0187;Sie ist mit dem Gemeindepr&#0228;sidenten Aeschbacher verwandt und der hat ihr den Bahnhofkiosk in Gerzenstein verschafft. Dort ist sie immer gehockt und hat gelesen, w&#0228;hrend der Vater hausiert hat ... Nicht gerade hausiert. Er ist mit einem Zehnderli herumgefahren, als Reisender f&#0252;r Bodenwichse, Kaffee ... Und das Zehnderli hat man ja auch gefunden, ganz in der N&#0228;he, es stand an der Stra&#0223;e ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und wo ist der alte Witschi gelegen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Hundert Meter davon, im Wald, hat der Cottereau erz&#0228;hlt ...&#0171;</p><p class="standard">Studer zeichnete M&#0228;nnlein in sein Notizbuch. Er war pl&#0246;tzlich weit weg. Er war in dem Krachen im Oberaargau, wo er den Burschen verhaftet hatte. Die Mutter hatte ihm aufgemacht. Eine merkw&#0252;rdige Frau, diese Mutter des Schlumpf! Sie war gar nicht erstaunt gewesen. Sie hatte nur gefragt: &#0187;Aber er darf noch z&#8217;Morgen essen?&#0171; .. .</p><p class="standard">Ein kleines M&#0228;dchen in Gerzenstein, eine alte Mutter im Oberaargau ... und zwischen beiden der Bursche Schlumpf, angeklagt des Mordes...</p><p class="standard">Es kam ganz darauf an, was f&#0252;r ein Untersuchungsrichter den Fall &#0252;bernehmen w&#0252;rde ... Man m&#0252;&#0223;te mit dem Mann reden k&#0246;nnen. Vielleicht...</p><p class="standard">Schritte kamen n&#0228;her. Der W&#0228;rter Liechti erschien in der T&#0252;r und sein rotes Gesicht gl&#0228;nzte boshaft.</p><p class="standard">&#0187;Wachtmeister, der Herr Untersuchungsrichter will Euch sprechen.&#0171;</p><p class="standard">Und Liechti grinste unversch&#0228;mt. Es war nicht schwer zu erraten, was das Grinsen zu bedeuten hatte. Ein Fahnder hatte seine Kompetenzen &#0252;berschritten und wurde eingeladen, den f&#0228;lligen R&#0252;ffel in Empfang zunehmen...</p><p class="standard">&#0187;Leb wohl, Schlumpfli!&#0171; sagte Studer. &#0187;Mach keine Dummheiten mehr. Soll ich die Sonja gr&#0252;&#0223;en, wenn ich sie seh&#8217;? Ja? Also; ich komm dich dann vielleicht einmal besuchen. Leb wohl!&#0171;</p><p class="standard">Und w&#0228;hrend Studer durch die langen G&#0228;nge des Schlosses schritt, konnte er den Blick nicht los werden und den Blick nicht deuten, mit dem ihm Schlumpf nachgeblickt hatte. Erstaunen lag darin, jawohl, aber hockte nicht auch eine trostlose Verzweiflung auf dem Grunde?</p></div></div></div></body>
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