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    <title>pt08.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt08"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000014">Zimmer zu vermieten</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Schlumpf hatte dem Wachtmeister erz&#0228;hlt, er habe bei einem Ehepaar gewohnt, das in der Bahnhofstra&#0223;e ein Korbereigesch&#0228;ft betrieben habe. Hofmann h&#0228;tten die Leute gehei&#0223;en.</p><p class="standard">Das Haus war nicht schwer zu finden. Auf dem Trottoir, vor dem Laden, standen geflochtene Blumenst&#0228;nder, die sich nach einem Salon und der obligaten Palme zu sehnen schienen. Studer trat ein, eine Klingel schrillte ged&#0228;mpft in einem hinteren Zimmer und dann betrat eine Frau den Laden. Sie trug eine blaugestreifte &#0196;rmelsch&#0252;rze, ihre Haare waren grau und ordentlich frisiert. Sie fragte, was der Herr wolle, und ihre H&#0246;flichkeit wirkte angelernt.</p><p class="standard">Er komme, sagte Studer, um &#0252;ber den Schlumpf Erwin, der ja hier gewohnt habe, Auskunft einzuziehen. Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei. Man habe ihn mit der Verfolgung des Falles betraut, und er h&#0228;tte gern etwas &#0252;ber den Burschen erfahren.</p><p class="standard">Die Frau nickte, ihr Gesicht wurde traurig.</p><p class="standard">Das sei eine heillose Geschichte, meinte sie. Der Wachtmeister m&#0246;ge doch eintreten, sie sei allein, ihr Mann sei hausieren gegangen, ob der Wachtmeister nicht ein wenig in die K&#0252;che kommen wolle, sie habe gerade Kaffee gemacht, er k&#0246;nne auch eine Tasse trinken, wenn er wolle... Ganz ungeniert.</p><p class="standard">Auf Kaffee hatte Studer gerade Lust...</p><p class="standard">Und er bereute es nicht, denn der Kaffee war gut, keine laue Br&#0252;he wie im &#0187;B&#0228;ren&#0171;. Die K&#0252;che war klein, wei&#0223;, sehr sauber. Nur der Stuhl, auf dem Studer Platz genommen hatte, war ein wenig zu schmal...</p><p class="standard">Studer begann vorsichtig zu fragen.</p><p class="standard">&#8210; Ob der Schlumpf p&#0252;nktlich gezahlt habe? &#8210; O ja, jeden Monat, am letzten, wenn er Zahltag gehabt h&#0228;tte, sei er gekommen und habe 25 Franken auf den Tisch gelegt. &#8210; Und sei am Abend immer daheim geblieben? &#8210; Das erste Jahr schon, aber seit f&#0228;rn sei er am Abend oft sp&#0228;t zur&#0252;ckgekommen. &#8210; Aha, meinte Studer, eine Liebschaft?</p><p class="standard">Frau Hofmann l&#0228;chelte. Es war ein freundliches, m&#0252;tterliches L&#0228;cheln. Studer freute sich im stillen &#0252;ber die Frau. Sie nickte.</p><p class="standard">&#8210; Aber das M&#0228;dchen sei nie zum Schlumpf ins Zimmer gekommen? &#8210; Nie, nein. Solche Sachen wolle sie nicht haben. Nicht da&#0223; sie etwas daran finde, aber in einem Dorf! ... Der Wachtmeister werde verstehen...</p><p class="standard">Studer verstand. Es war an ihm zu nicken, und er nickte &#0252;berzeugt. Er sa&#0223; da in seiner Lieblingshaltung, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die H&#0228;nde gefaltet. Sein magerer Kopf war gesenkt.</p><p class="standard">&#8210; Das M&#0228;dchen sei auch nie gekommen, um den Schlumpf abzuholen? &#8210; Nein ... Das hei&#0223;t, wohl einmal... am Mittwochabend...</p><p class="standard">&#0187;Um welche Zeit?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Um halb sieben. Der Schlumpf ist gerade von der Arbeit zur&#0252;ckgekommen, hat sich im Zimmer gewaschen ... Er war gerade am Waschen, da ist das Meitschi in den Laden gekommen, ganz bla&#0223; war sie, aber das hat mich weiter nicht gewundert, weil doch ihr Vater ermordet aufgefunden worden war... Sie hat gesagt, sie m&#0252;sse den Schlumpf sprechen und ob ich ihn rufen wolle. Er ist dann gekommen, ich hab&#8217; die beiden in der K&#0252;che allein gelassen, aber sie haben kaum eine Minute miteinander gesprochen. Dann ist das Meitschi wieder fortgegangen. Und der Schlumpf ist erst nach Mitternacht heimgekommen...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Das war am Mittwoch, also am Abend nach der Entdeckung des Mordes, nicht wahr?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, Herr Wachtmeister. Ich hab schlecht geschlafen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf geh&#0246;rt, wie er auf den Socken die Treppe hinuntergeschlichen ist. Um sieben Uhr ist dann schon der Murmann gekommen und hat den Schlumpf verhaften wollen. Aber da war der Erwin schon fort ...&#0171;</p><p class="standard">Der Erwin ... Der Name klang z&#0228;rtlich im Mund der grauen Frau. Zwei Jahre hatte der Erwin also bei den gleichen Leuten gewohnt, er mu&#0223;te sich gut aufgef&#0252;hrt haben, sonst h&#0228;tten sie ihn wohl nicht so lange behalten...</p><p class="standard">&#0187;Und habt Ihr sein Vorleben gekannt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ach, Wachtmeister&#0171;, sagte Frau Hofmann. &#0187;Er hat Ungl&#0252;ck gehabt, der Erwin. Mein Vater hat immer gesagt: &#8250;Richtet nicht, auf da&#0223; Ihr nicht gerichtet werdet.&#8249; Nein, nein, ich geh&#8217; nicht zu den St&#0252;ndelern, aber Ihr wi&#0223;t ja, Wachtmeister, wie es manchmal gehen kann. Der Erwin hat uns in der zweiten Woche alles erz&#0228;hlt, von seinen Einbr&#0252;chen und von Thorberg und von der Zwangserziehungsanstalt ... Einmal hat ihn seine Mutter besucht ... Eine gute Frau ... Der Erwin hat viel von seiner Mutter gehalten ... Habt Ihr die Mutter gesehen?&#0171;</p><p class="standard">Studer nickte. Er h&#0246;rte die alte, ruhige Stimme, die fragte: &#0187;Aber er darf noch z&#8217;Morgen nehmen?&#0171;</p><p class="standard">&#0220;ber der K&#0252;chent&#0252;r schrillte die Klingel. Es sei wohl jemand im Laden, meinte die Frau, stand auf, f&#0252;llte vorsorglich Studers Tasse &#8210; mit Zucker und Milch solle er sich nur bedienen, meinte sie &#8210;, und dann ging sie ihre Kunden bedienen.</p><p class="standard">Studer trank die Tasse in kleinen Schl&#0252;cken leer, zog die Uhr: es war bald sechs. Er hatte noch Zeit.</p><p class="standard">Er spazierte in der kleinen K&#0252;che umher, die H&#0228;nde auf dem R&#0252;cken verschr&#0228;nkt, dachte an nichts und sch&#0252;ttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn irgendein Gedanke bel&#0228;stigen wollte. Zweimal, dreimal kam er an dem wei&#0223;en K&#0252;chenschaft vorbei, ohne ihn richtig zu sehen, bis er sich, bei einer br&#0252;sken Kehrtwendung, schmerzhaft an einer Ecke stie&#0223;. Nun betrachtete er erst das M&#0246;bel, aufmerksam und mi&#0223;billigend. Es war ein wei&#0223;er K&#0252;chenschaft, unten breit, mit Holzt&#0252;ren; auf diesem breiten unteren Teil erhob sich ein schm&#0228;leres Gestell mit Glasfenstern. Ein Stapel Teller, daneben Tassen und Gl&#0228;ser, einige Bratensch&#0252;sseln. Auf dem obersten Brett lagen alte Zeitungen, ordentlich aufgeschichtet und neben ihnen, durcheinander, altes Packpapier. Die T&#0252;ren waren nur angelehnt. Studer starrte auf den unordentlichen Sto&#0223; Packpapier. Und da er sich langweilte, nahm er das Packpapier heraus &#8210; er packte es fest mit beiden H&#0228;nden, damit nicht irgendein kleineres Blatt zu Boden flatterte, &#8210; legte den Sto&#0223; auf den Tisch und begann es sorgf&#0228;ltig zusammenzulegen.</p><p class="standard">Als er das f&#0252;nfte Blatt hochhob (noch sp&#0228;ter erinnerte er sich an die Farbe dieses Papiers, es war blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerh&#0252;ten braucht), sah er etwas Schwarzes liegen.</p><p class="standard">Studer st&#0252;tzte die F&#0228;uste auf den Tisch und besah mit schiefgeneigtem Kopf das schwarze Ding. Kein Zweifel: eine Browningpistole, Kaliber 6,5, eine zierliche Waffe. Aber was hatte dieser Browning in der K&#0252;che der Frau Hofmann zu suchen? Wie war er unter dieses Papier gerutscht? Hatte der Schlumpf ...? Eine b&#0246;se Geschichte. Wenn der Untersuchungsrichter in Thun von diesem Fund erfuhr...</p><p class="standard">Studer schwankte. Vielleicht waren Fingerabdr&#0252;cke auf dem Kolben zu finden, obwohl der Kolben gerippt war und die Abdr&#0252;cke sicher nicht so klar waren, da&#0223; man etwas mit ihnen w&#0252;rde beweisen k&#0246;nnen...</p><p class="standard">Wieder schrillte die Klingel &#0252;ber der K&#0252;chent&#0252;r kurz auf. Die Kunden hatten wohl den Laden verlassen. Frau Hofmann w&#0252;rde gleich zur&#0252;ckkommen.</p><p class="standard">&#0187;Ah bah&#0171;, sagte Studer laut, nahm das zierliche schwarze Ding &#8210; und ganz kurz sah er das Loch, das dies Ding gemacht hatte, die Einschu&#0223;&#0246;ffnung drei Finger etwa vom rechten Ohr im Hinterkopf des Wendelin Witschi &#8210; dann steckte Studer die Pistole in seine hintere Hosentasche...</p><p class="standard">Die K&#0252;chent&#0252;r ging auf. Frau Hofmann kam nicht allein zur&#0252;ck. Sonja Witschi begleitete sie.</p><p class="standard">Er habe ein wenig Ordnung machen wollen zum Dank f&#0252;r den Kaffee, sagte Studer, aber das sei ja nicht mehr n&#0246;tig. Er nahm den Sto&#0223; Packpapier, warf ihn auf das obere Brett des K&#0252;chenschaftes und setzte sich wieder. Er schien das M&#0228;dchen gar nicht zu beachten.</p><p class="standard">&#0187;Im Dorf wissen sie schon, da&#0223; Ihr die Untersuchung f&#0252;hrt, Herr Wachtmeister, und da hat die Sonja mit Euch reden wollen&#0171;, sagte Frau Hofmann. Und zu dem M&#0228;dchen gewandt: &#8210; Es solle abhocken, Kaffee sei noch da ...</p><p class="standard">Studer sah das M&#0228;dchen an. Das kleine Gesicht mit der spitzen Nase und den Sommersprossen an den Schl&#0228;fen war bleich und sah verst&#0246;rt aus. Und immer wichen die Augen Studers Blick aus. Diese Augen blickten furchtsam in der K&#0252;che umher, wanderten vom Tisch, auf dem das Packpapier gelegen hatte, zum Schaft, in dem der Stapel nun lag. Die Lippen pre&#0223;ten sich aufeinander.</p><p class="standard">Am liebsten w&#0228;re Studer aufgestanden, h&#0228;tte dem M&#0228;dchen die Haare gestreichelt und es beruhigt, wie man einen zitternden Hund beruhigt. Aber das ging nicht. Vielleicht wu&#0223;te das M&#0228;dchen etwas von der versteckten Pistole? Hatte der Schlumpf die Waffe versteckt und am Abend vor seiner Flucht dem M&#0228;dchen erz&#0228;hlt, wo sie lag? Warum war dann Sonja nicht fr&#0252;her gekommen, um sie beiseite zu schaffen? Fragen, viele Fragen! ... Studer seufzte.</p><p class="standard">Nun kam Sonja auf ihn zu, sie schien ihn als denjenigen wiederzuerkennen, der im Zug die Bemerkung &#0252;ber Felicitas Rose gemacht hatte, denn sie wurde rot, als sie Studer die Hand gab. Aber vielleicht hatte die R&#0246;te auch eine andere Ursache. Die friedliche Atmosph&#0228;re, die vorher in der K&#0252;che geherrscht hatte, war gest&#0246;rt. Es war eine Spannung da, die nicht nur von der Verlegenheit (oder war es Angst?) der kleinen Sonja Witschi erzeugt wurde &#8210; nein, Studer schien es, als habe sich auch die Haltung Frau Hofmanns ver&#0228;ndert.</p><p class="standard">Das Schweigen, das &#0252;ber der kleinen K&#0252;che lag, wurde nur vom Ticken der Uhr unterbrochen, einer wei&#0223;en Porzellanuhr mit blauen Ziffern. Und w&#0228;hrend dieses Schweigens wurde Studers optimistische Stimmung zernagt und langsam wuchs eine l&#0228;hmende Mutlosigkeit in ihm. Vielleicht trug zum Wachsen dieser Mutlosigkeit auch das ungewohnte Gewicht bei, das in seiner hinteren Hosentasche lastete.</p><p class="standard">&#8210; Es seien wohl noch andere Kunden dagewesen, meinte Studer pl&#0246;tzlich. &#8210; Nein, keine Kunden ... Frau Hofmann sch&#0252;ttelte den Kopf. Zwei Herren seien dagewesen ... &#8210; Zwei Herren? Wie sie gehei&#0223;en h&#0228;tten? &#8210; Der Gemeindepr&#0228;sident und der Lehrer Schwomm. &#8210; Was die Herren denn gewollt h&#0228;tten?</p><p class="standard">Frau Hofmann schwieg verstockt. Studer blickte auf Sonja Witschi, die er bei sich Felicitas nannte. Aber das M&#0228;dchen zuckte nur die Achseln.</p><p class="standard">&#8210; Ob sie mit den beiden Herren gekommen sei? fragte Studer das M&#0228;dchen. &#8210; Es habe die beiden geholt, als es den Wachtmeister habe in den Laden gehen sehen.</p><p class="standard">Studer stand auf, kratzte sich die Stirne &#8210; das wurde ja immer komplizierter... Aus Frau Hofmann war wohl nichts mehr zu holen ... Aber vielleicht aus dem M&#0228;dchen? ...</p><p class="standard">&#0187;Adieu, Frau Hofmann&#0171;, sagte Studer freundlich. &#0187;Und du, komm einmal mit. Wir wollen noch ein wenig zusammen reden ...&#0171;</p><p class="standard">Es hatte keinen Sinn, sich Schlumpfs Zimmer anzusehen. Das war sicher geputzt und gefegt worden und die Sachen, die Schlumpf geh&#0246;rt hatten, waren verpackt und lagen irgendwo ..</p><p class="standard">Als Studer aus dem Hause trat, wu&#0223;te er, da&#0223; er mit dieser Ansicht recht hatte. Am gr&#0252;nen Laden eines Fensters im oberen Stock baumelte ein wei&#0223;es Kartonst&#0252;ck.</p><p class="standard">Darauf stand in ungeschickter Schrift geschrieben: &#0187;Zimmer zu vermieten.&#0171;</p><p class="standard">Der Wachtmeister wandte sich noch einmal an Frau Hofmann, zeigte auf die Ank&#0252;ndigung und fragte, ob sich schon Mieter gemeldet h&#0228;tten.</p><p class="standard">Frau Hofmann nickte.</p><p class="standard">&#8210; Wer denn?</p><p class="standard">Frau Hofmann z&#0246;gerte mit der Antwort, doch schien ihr die Frage nicht gef&#0228;hrlich. Und sie sagte:</p><p class="standard">&#0187;Der Lehrer Schwomm h&#0228;tt&#8217; das Zimmer gern gehabt f&#0252;r einen Verwandten, der einen Monat zu ihm kommen will. Dann ist der Gerber vorbeigekommen, der ist beim Coiffeur als Gehilfe ... Ja, das w&#0228;ren alle.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und Ihr habt die beiden in die K&#0252;che gef&#0252;hrt und ihnen Kaffee angeboten?&#0171;</p><p class="standard">Frau Hofmann wurde rot, sie rieb sich verlegen die H&#0228;nde: &#0187;Wenn man den ganzen Tag allein ist, wi&#0223;t Ihr...&#0171;</p><p class="standard">Studer nickte, l&#0252;pfte den Hut und ging mit langen Schritten davon. An seiner Seite trippelte Sonja Witschi. Ihre Abs&#0228;tze klapperten auf dem Asphalt. Aber sie hatte die Str&#0252;mpfe gewechselt. Wenigstens war &#0252;ber der Ferse des rechten Schuhes kein Loch mehr zu sehen...</p></div></div></div></body>
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