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    <title>pt06.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt06"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000010">L&#0228;den, Lautsprecher, Landj&#0228;ger</h1><div class="section"><p class="TkOhne"><b class="emphasis">&#0187;</b>Dieses Gerzenstein!&#0171; murmelte Studer. An jedem Haus war ein Schild angebracht, rechts und links der Stra&#0223;e: Metzgerei, B&#0228;ckerei, Lebensmittelgesch&#0228;ft, Ablage des Konsumvereins; Migros; dazwischen eine Wirtschaft, dann noch eine: Zum Kl&#0246;sterli, Zur Traube. Dann weiter: Metzgerei, Drogerie, Tabak und Zigarren; ein gro&#0223;es Schild: Kapelle der apostolischen Gemeinschaft. Dahinter, in einem Garten: Heilsarmee. Eine schmale Wiese unterbrach die Reihe. Aber gleich darauf begann es wieder: Apotheke, Drogerie, B&#0228;ckerei. Ein Arztschild: Dr. med. Eduard Neuenschwander. &#8210; So, so, der Mann, der die erste oberfl&#0228;chliche Untersuchung der Leiche gemacht hatte... Dann endlich, Studer dachte schon, er habe den Weg verfehlt, sah er ein breites, beh&#0228;biges Haus, aus grauem Stein erbaut, mit einem ausladenden Dach: den Gasthof zum &#0187;B&#0228;ren&#0171;.</p><p class="standard">Der Wachtmeister verlangte ein Zimmer und bekam eine Mansarde unterm Dach. Sie war sauber, roch nach Holz, das Fenster ging nach hinten auf eine Wiese, die &#0252;berzogen war von wei&#0223;em, bl&#0252;hendem Schaum. Nach der Wiese kam ein Roggenfeld von zart violetter Farbe. Und der Wald als Abschlu&#0223; zeigte auf einem schwarzen Tannengrund die hellen gr&#0252;nen Flecke einiger Laubb&#0228;ume. Diese Farben gefielen Studer ausnehmend. Er blieb ein paar Minuten am Fenster stehen, packte seinen Koffer aus, wusch sich die H&#0228;nde und stieg wieder die Treppen hinunter. Er sagte der Kellnerin, er werde etwa in einer halben Stunde zum Essen kommen. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Landj&#0228;gerposten.</p><p class="standard">Und als er die Dorfstra&#0223;e entlangging, vorbei an den vielen Schildern, die sich folgten, fiel ihm eine zweite Eigent&#0252;mlichkeit dieses Gerzensteins auf. Aus jedem Hause drang Musik: manchmal unangenehm laut aus einem ge&#0246;ffneten Fenster, manchmal dumpfer, wenn die Fenster geschlossen waren.</p><p class="standard">&#0187;Gerzenstein, das Dorf der L&#0228;den und Lautsprecher&#0171;, murmelte Studer, und es war ihm, als sei mit diesen Worten ein Teil der Atmosph&#0228;re des Dorfes charakterisiert...</p><p class="standard">Landj&#0228;gerkorporal Murmann sah aus wie ein pensionierter Schwingerk&#0246;nig. Sein Uniformrock stand offen, auch das Hemd klaffte und lie&#0223; eine Brust sehen, auf der die Haare dichter wucherten als auf dem Kopf.</p><p class="standard">&#0187;Sal&#0252;&#0171;, sagte Studer.</p><p class="standard">&#0187;Eh, der Studer!&#0171; Und ob er noch immer Billard spiele? Er solle abhocken. Dann erhob Murmann die Stimme zu einem tosenden Ruf, mit langgezogenem I-Laut, und der Ruf galt Frau Murmann &#8210; aber es war nicht deutlich, ob die Frau Emmy oder Anny hie&#0223;. Das blieb sich ja auch im Grunde gleich.</p><p class="standard">&#0187;Wy&#0223;e oder Rote?&#0171; fragte Murmann.</p><p class="standard">&#0187;Bier&#0171;, sagte Studer kurz.</p><p class="standard">Der tosende Ruf erhob sich zum zweiten Male, und zwei I-Laute hallten durchs Haus. Es kam auch Antwort, und der Ruf der Antwort war genau so tosend. Nur eine Tonlage h&#0246;her. Dann erschien Frau Murmann in der T&#0252;r, und sie sah aus wie eine Statue der Helvetia aus den achtziger Jahren. Nur das Gesicht war viel, viel intelligenter als jenes besagter Statue. Von patriotischen Bildnissen wird ja auch keine Intelligenz verlangt. Wozu auch?</p><p class="standard">Ob sie den Studer noch kenne, wollte der Schwingerk&#0246;nig wissen, und die intelligente Helvetia nickte. Dann erkundigte sie sich, ob Studer schon gegessen habe. Er habe im &#0187;B&#0228;ren&#0171; zu Mittag bestellt, erwiderte der Wachtmeister, worauf die beiden gro&#0223;en Menschen zusammen b&#0246;se wurden. Das sei nicht recht, es sei doch selbstverst&#0228;ndlich, da&#0223; Studer hier esse &#8210; gegen das dr&#0246;hnende Duett war nicht aufzukommen. Gl&#0252;cklicherweise begann im oberen Stockwerk eine dritte Stimme zu kreischen, worauf sich Frau Murmann &#8210; hie&#0223; sie Emmy oder Anny? &#8210; empfahl. Studer mu&#0223;te versprechen, zum Nachtessen ganz bestimmt zu kommen.</p><p class="standard">&#0187;Ja hmm&#0171;, sagte Studer, trank sein Glas aus, seufzte: &#0187;Ahh&#0171; und schwieg.</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, sagte Murmann, trank sein Glas aus, gluckste, bekam Tr&#0228;nen in die Augen von der Kohlens&#0228;ure, und dann schwieg auch er ...</p><p class="standard">Es war friedlich in dem kleinen Bureau. In einer Ecke stand eine alte Schreibmaschine, deren Tasten gelb schimmerten: aber sie war gro&#0223; und solid und pa&#0223;te zu dem Korporal Murmann. Durchs Fenster, das offen stand, sah Studer in einen Garten: kleine Buchshecken s&#0228;umten die Beete ein, auf denen der Spinat schon aufgeschossen war. Aber in der Mitte des Gartens, dort, wo die Buchshecken verdrehte Arabesken bildeten, standen durchscheinend rote Tulpen.</p><p class="standard">Die gelben Pens&#0233;es, die sie bescheiden umgaben, waren schon am Verbl&#0252;hen. Sie erinnerten an Leute, die keiner Partei angeh&#0246;ren, und es deswegen zu nichts gebracht haben...</p><p class="standard">&#0187;Du kommst wegen dem Witschi...&#0171;, sagte Murmann und d&#0228;mpfte seine tosende Stimme. Das Gekreisch im oberen Stockwerk war verstummt, und Murmann wollte es wohl nicht wieder zum Erschallen bringen.</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, sagte Studer und streckte die Beine. Der Stuhl war bequem, er hatte Armst&#0252;tzen. Studer lie&#0223; sich gehen und blinzelte in den Garten, auf den jetzt die Sonne schien. Aber der Schein blieb nicht lange, das Grau kam wieder &#8210; nur die Tulpen leuchteten unentwegt...</p><p class="standard">Studer dachte an seine Unterredung mit dem Untersuchungsrichter. Wieviel Speuz hatte er dort verschwenden m&#0252;ssen! Der Murmann war entschieden vorzuziehen, obwohl er kein rohseidenes Hemd trug ...</p><p class="standard">&#8210; Es sei so still hier, sagte Studer nach einer Weile, worauf Murmann lachte. Er habe eben keinen Lautsprecher wie die andern Gerzensteiner, sagte er. Da lachte auch Studer.</p><p class="standard">Und dann schwiegen beide wieder.</p><p class="standard">Bis Studer fragte, ob Murmann den Schlumpf f&#0252;r schuldig halte.</p><p class="standard">&#0187;Chabis!&#0171; sagte Murmann nur.</p><p class="standard">Und dieses einzige Wort gab dem Fahnderwachtmeister Studer mehr Sicherheit als alle kriminologischen und psychologischen Spitzfindigkeiten, die er bis jetzt gesammelt hatte, um in sich die immerhin mehr gef&#0252;hlsm&#0228;&#0223;ige &#0220;berzeugung der Unschuld des Burschen Schlumpf zu festigen.</p><p class="standard">Studer wu&#0223;te, Murmann war ein schweigsamer Mensch.</p><p class="standard">Es war nicht leicht, ihn zum Reden zu bringen. Ja, die Worte, die man in den allt&#0228;glichen, belanglosen Gespr&#0228;chen tauscht, die sa&#0223;en bei ihm locker. Aber sobald es sich um wichtigere Dinge handelte, war ein Wort wie beispielsweise: &#0187;Chabis&#0171; fast ebensoviel wert wie die kr&#0228;ftigen Ausf&#0252;hrungen eines Experten.</p><p class="standard">&#8210; Studer kenne eben noch nicht das Kaff Gerzenstein, sagte Murmann nach einer Weile. Er hatte sich eine Pfeife gestopft und rauchte langsam.</p><p class="standard">&#0187;Ich bin jetzt bald sechs Jahre hier&#0171;, sagte Murmann. &#0187;Und ich kenne den Betrieb. Ich kann nichts machen. Ich mu&#0223; aufpassen. Weischt, Diplomatie!&#0171; (Er sagte &#0187;Diplomaziiie&#0171; und dr&#0252;ckte das eine Auge zu.) &#0187;Gut, da&#0223; du gekommen bist. Ich bin n&#0228;mlich so...&#0171; Er steckte die Arme waagrecht aus, die m&#0228;chtigen Handgelenke eng aneinandergepre&#0223;t, um recht deutlich zu demonstrieren, wie machtlos er sei ...</p><p class="standard">Dann schwieg er wieder.</p><p class="standard">&#0187;Weischt&#0171;, sagte er nach einer Weile, &#0187;der Aeschbacher, der Gemeindepr&#0228;sident ...&#0171; und schwieg wieder lange. &#0187;Aber der alte Ellenberger! ...&#0171; Und zwinkerte mit dem rechten Auge.</p><p class="standard">&#0187;Aber der Cottereau ist verschwunden ...&#0171; warf Studer ein und nahm einen Schluck aus seinem Glas.</p><p class="standard">&#0187;Hab keinen Kummer&#0171;, sagte Murmann gem&#0252;tlich. &#0187;Der kommt scho wieder ume ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;J&#0228;&#0228; ... aber hast du nicht die Polizeidirektion alarmiert, da&#0223; es dann im Radio gekommen ist?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ich?&#0171; fragte Murmann und wies mit dem gro&#0223;en, behaarten Zeigefinger auf seine nackte Brust. &#0187;Ich?&#0171; Und ob Studer etwa krank sei, da&#0223; er so dumme Fragen stelle?? Das habe doch der Ellenberger gemacht, um sich einen Spa&#0223; zu leisten! Berom&#0252;nster, habe der Ellenberger einmal gemeint, sei auch nicht f&#0252;r die Hunde gebaut worden, man m&#0252;sse den Leuten etwas zu tun geben. Und die vielen Empf&#0228;nger...</p><p class="standard">Studer fand bei sich, da&#0223; dieses Gerzenstein ein merkw&#0252;rdiges Dorf sei, und seine Einwohner waren noch merkw&#0252;rdiger. Aber er beschlo&#0223;, den Korporal Murmann nicht l&#0228;nger zu bel&#0228;stigen, &#0252;brigens wartete das Essen im &#0187;B&#0228;ren&#0171; sicher schon auf ihn. So verabschiedete er sich und versprach, am Abend wiederzukommen. Murmann schien diese Diskretion zu sch&#0228;tzen; denn er meinte beim Abschied: zum Reden habe man immer noch Zeit, und so um die Mittagsstunde, da habe er immer Schlaf. Wenn man jeden Abend die Polizeistunde kontrollieren m&#0252;sse in allen Beizen, dann habe man tags&#0252;ber einen dummen Kopf. Dazu g&#0228;hnte er ausgiebig.</p><p class="standard">So stand Studer wieder auf der asphaltierten Stra&#0223;e. Rechts und links, so weit der Blick reichte: L&#0228;den, L&#0228;den, L&#0228;den.</p><p class="standard">Und die H&#0228;user waren nicht stumm...</p><p class="standard">Es war Samstagnachmittag.</p><p class="standard">Durch die Mauern, durch die geschlossenen Fenster und durch die ge&#0246;ffneten jodelte das Gritli Wenger &#8210;</p><p class="standard">Es jodelte den Sonntag ein ...</p></div></div></div></body>
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