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    <title>pt16.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt16"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000030">Liebe vor Gericht</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Montagmorgen halb acht Uhr im Bureau des Landj&#0228;gerkorporals Murmann.</p><p class="standard">Studer sa&#0223; am Fenster und blickte in den Garten, &#0252;ber den ein feiner Regen niederging. Es war k&#0252;hl. Der hei&#0223;e Sonntag war eine T&#0228;uschung gewesen.</p><p class="standard">Der Wachtmeister war allein. Er sah m&#0252;de aus. Zusammengesunken hockte er auf dem bequemen Armstuhl in seiner Lieblingsstellung: Unterarme auf den Schenkeln, H&#0228;nde gefaltet. Die Haut eines Gesichtes lie&#0223; an verregnetes Papier denken. Er seufzte von Zeit zu Zeit.</p><p class="standard">In der Hand hielt er einen Brief, drei engbeschriebene Bogen. Er las darin, lie&#0223; die Bl&#0228;tter wieder sinken, nahm sie wieder auf, sch&#0252;ttelte den Kopf. Es war ein Brief seines Partners im Billardspiel. M&#0252;nch, der Notar, schrieb merkw&#0252;rdige Dinge, Dinge, die vielleicht ... vielleicht die L&#0246;sung geben konnten &#8210; die L&#0246;sung des verkachelten Falles Witschi. &#0187;Streng vertraulich&#0171; stand auf dem Briefkopf. Wie stellte sich der M&#0252;nch eigentlich die Sache vor? Erz&#0228;hlte interessante Tatsachen, und man durfte sie nicht verwerten.</p><p class="standard">Der Brief handelte von Akzepten. Von Akzepten, die zusammen eine betr&#0228;chtliche Summe ausmachten. Wechsel also, die von einem Gerzensteiner B&#0252;rger akzeptiert worden waren und nun der Einl&#0246;sung harrten. Der Gerzensteiner, um den es sich handelte, hatte mit der Kantonalbank vor einer Woche ein Abkommen getroffen. Die Wechsel waren heute f&#0228;llig gewesen, die Bank hatte sie vor einer Woche mit Ach und Krach auf acht Tage verl&#0228;ngert (prolongiert schrieb der Notar). Also heute in acht Tagen mu&#0223;ten sie bezahlt werden. Zehntausend Franken. Ein ordentlicher &#0187;Sch&#0252;bel&#0171; Geld. M&#0252;nch nannte den Namen des Akzeptanten nicht, er war nicht schwer zu erraten ... Und einkassiert hatte der Witschi das Geld. Vor sechs Monaten...</p><p class="standard">Dieser Witschi mu&#0223;te es faustdick hinter den Ohren gehabt haben, er mu&#0223;te ordentlich Geld verputzt haben. Wohin war das Geld gekommen? Spekulationen? Vielleicht. M&#0252;nch schrieb, Witschi sei knapp vor dem Konkurs gestanden (und merkw&#0252;rdigerweise stand auch der Gerzensteiner B&#0252;rger knapp vor dem Konkurs ...) Der Notar erz&#0228;hlte eine merkw&#0252;rdige Geschichte. Er schrieb:</p><p class="standard">&#0187;Au&#0223;erdem mu&#0223; ich Dir, lieber Wachtmeister, noch eine sonderbare Geschichte erz&#0228;hlen. Du erinnerst Dich doch noch, da&#0223; ich Dir damals, beim Billardspielen, als wir den alten Ellenberger sahen, erz&#0228;hlte, Ellenberger sei bei mir gewesen, um eine zweite Hypothek, die er auf dem Hause des Wendelin Witschi habe, zu k&#0252;ndigen. Nun stimmt das nicht ganz. Ellenberger war schon einmal bei mir gewesen, eine Woche vorher und hatte mir eine Schuldverschreibung in der H&#0246;he von f&#0252;nfzehntausend Franken gebracht, die Witschi ihm ausgestellt hatte. Als Pfand hatte er eine Lebensversicherung hinterlegt, die auf zwanzigtausend Franken lautete. Ellenberger hatte es &#0252;bernommen, die Pr&#0228;mie zu zahlen. Nun wei&#0223; ich nicht, was ihn bewogen hat, aber Ellenberger wollte zur&#0252;cktreten. Er verlangte die R&#0252;ckzahlung der betreffenden Summe sowie die Verg&#0252;tung der gezahlten Pr&#0228;mien und forderte mich auf, dies Witschi mitzuteilen. Ich telephonierte Montag nachmittag (also am r. Mai) dem Witschi nach Gerzenstein, er m&#0246;ge mich in meinem Bureau aufsuchen. Er kam gegen siebzehn Uhr zu mir. Ich teilte ihm den Entschlu&#0223; seines Gl&#0228;ubigers mit. Witschi regte sich sehr auf, sagte, er sei ein ruinierter Mann, es bleibe ihm nichts anderes &#0252;brig, als sich das Leben zu nehmen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, da&#0223; dies die Sache nicht &#0228;ndern werde, sie werde dadurch nur schlimmer, denn die Versicherung w&#0252;rde sich alsdann weigern, die Summe auszuzahlen ...&#0171;</p><p class="standard">Es kamen einige technische Ausf&#0252;hrungen und dann fuhr der Notar M&#0252;nch fort:</p><p class="standard">&#0187;Witschi begann zu jammern, er schimpfte auf seine Frau und auf seinen Sohn, die ihm das Leben zur H&#0246;lle machten, wie er sich ausdr&#0252;ckte. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Aber er regte sich immer mehr auf, pl&#0246;tzlich zog er einen Revolver aus der Tasche und drohte mir, er werde sich in meinem Bureau erschie&#0223;en, wenn ich ihm nicht zu Hilfe k&#0228;me. Der Mann begann mir auf die Nerven zu fallen, ich wollte ihn los sein, er klagte und jammerte weiter: der Gemeindepr&#0228;sident wolle ihn internieren lassen ... Ich schnitt ihm das Wort ab: Das gehe mich gar nichts an, er solle machen, da&#0223; er aus meinem Bureau komme, ich k&#0246;nne solchen L&#0228;rm nicht brauchen. Da begann er wieder zu weinen, nein, er wolle nicht gehen, bis er nicht einen Rat erhalten habe. Ich konnte ihm aber keinen Rat geben und sagte ihm dies. Jetzt werde er sich also erschie&#0223;en, sagte Witschi. Ich darauf: Aber nicht in meinem Bureau. Da habe er nicht die rechte Ruhe dazu, aber ich h&#0228;tte eine leerstehende Kammer, wenn er sich dorthin bem&#0252;hen wolle, so werde er dort die beste Gelegenheit haben, sich aus er Welt zu schaffen. Du wirst nat&#0252;rlich denken, lieber Wachtmeister, da&#0223; ich ein herzloser Mensch bin. Aber das bin ich gar nicht. Nur mu&#0223;t du bedenken, da&#0223; ich in meiner Praxis schon viele derartige F&#0228;lle gehabt habe; Selbstmorddrohungen sind bequeme Erpressungsversuche. Die Leute wollen sich gar nicht umbringen, sie wollen nur Eindruck machen und versuchen, etwas herauszuschinden. Ich sage dir das vertraulich und du wirst mich verstehen.&#0171;</p><p class="standard">Studer sch&#0252;ttelte den Kopf. War es bei Witschi nicht doch vielleicht eine echte Verzweiflung gewesen? Er sah den Wendelin vor sich, wie er auf dem Schragen lag im hellen, allzu wei&#0223;en Raum des Gerichtsmedizinischen ... Der ruhige, schier erl&#0246;ste Ausdruck auf seinem Gesicht... M&#0252;nch schrieb weiter, und was er schrieb, schien eigentlich dem Notar recht zu geben:</p><p class="standard">&#0187;Ich f&#0252;hrte den Wendelin in eine abgelegene Kammer und sagte zu ihm: &#8250;Bitte!&#8249; Dann schlo&#0223; ich die T&#0252;re. Ich war noch nicht f&#0252;nf Schritte weit gegangen, als ich einen Schu&#0223; h&#0246;rte. Nun wurde mir doch ungem&#0252;tlich zumute. Ich kehrte zur&#0252;ck, &#0246;ffnete die T&#0252;re: Witschi stand in der Mitte des Zimmers. Ein alter Spiegel, der an der Wand hing, hatte daran glauben m&#0252;ssen ... Aber Witschi hatte sich geschont. Merkw&#0252;rdig scheint mir nur, da&#0223; er dann zwei Tage sp&#0228;ter im Walde erschossen aufgefunden worden ist. Ich kann da keine Meinung &#0228;u&#0223;ern ...&#0171;</p><p class="standard">Die T&#0252;r ging auf. Zwei Frauen traten ein. Frau Murmann, gro&#0223;, m&#0252;tterlich, sch&#0252;tzend, f&#0252;hrte Sonja ins Zimmer.</p><p class="standard">Studer sah die beiden Frauen an. Er nickte.</p><p class="standard">&#0187;Danke, Frau Murmann&#0171;, sagte er. &#0187;Ist&#8217;s ohne Aufsehen gegangen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wohl, wohl&#0171;, antwortete die Frau. &#0187;Ich hab&#8217; sie vor dem Bahnhof erwartet, und sie ist ganz willig mitgekommen.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wir fahren zusammen nach Thun, Meitschi, wir gehen den Schlumpf besuchen. Ist&#8217;s dir so recht? Ich hab&#8217; nur nicht wollen, da&#0223; die Mutter etwas davon erf&#0228;hrt, drum hab&#8217; ich die Frau vom Landj&#0228;ger geschickt, damit sie dir&#8217;s sagt. Verstehst? Es ist weiter nicht gef&#0228;hrlich ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Jawohl, Herr Wachtmeister.&#0171; Sonja nickte eifrig.</p><p class="standard">&#0187;Aber die Leute hier brauchen uns nicht zu sehen&#0171;, fuhr Studer fort. &#0187;Murmann leiht mir sein Motorrad, er wird vorausfahren und auf uns warten. Du kannst auf dem Soziussitz hocken, um neun Uhr sind wir in Thun. Vorher hat&#8217;s keinen Zweck. Geh&#8217; jetzt mit der Frau Murmann. Ich mu&#0223; noch arbeiten. Ich sag&#8217; dir dann, wann wir gehen. Du gehst voraus, und wir treffen uns. Verstehst?&#0171;</p><p class="standard">Sonja nickte schweigend.</p><p class="standard">&#0187;Komm, Meitschi&#0171;, sagte Frau Murmann.</p><p class="standard">Aber Sonja z&#0246;gerte noch. Endlich stotterte sie (und Studer merkte, da&#0223; ihr das Schluchzen zuoberst in der Kehle sa&#0223;):</p><p class="standard">Ob der Wachtmeister nicht wisse, wo der Armin hin sei? &#0187;So? Ist er nicht daheim?&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Nein, er sei verschwunden, seit ... ja seit er damals vom Tisch aufgestanden sei; aber die Mutter habe gar keine Sorge gezeigt, sie sei heut&#8217; morgen wieder zum Kiosk... Was der Wachtmeister meine?</p><p class="standard">Der Wachtmeister schien gar nichts zu meinen, denn er schwieg. Er hatte etwas Derartiges erwartet. Die ganze Nacht hatte er in Witschis Garten verbracht, versteckt hinter einem gro&#0223;en Haselbusch und hatte den Schuppen nicht aus den Augen gelassen. Bevor er die Wache angetreten hatte, war er noch in den Schuppen gegangen. Die T&#0252;r mit den Spuren von Witschis Schie&#0223;versuchen (eigentlich, hatte er gedacht, ist es noch gar nicht bewiesen, da&#0223; Witschi sich ge&#0252;bt hat) stand noch an der gleichen Stelle, und w&#0228;hrend der ganzen Nacht hatte niemand versucht, sie zu holen. Witschis Haus blieb still und dunkel, die alte Frau Anastasia war um zehn Uhr heimgekommen. Eine Stunde lang hatte Licht in der K&#0252;che gebrannt. Dann war das Haus dunkel geblieben bis zum Morgen. Studer war sicher, da&#0223; Frau Witschi wu&#0223;te, wohin ihr Sohn gegangen war. Er tauchte sicher auf, wenn die Luft wieder rein war.</p><p class="standard">Aber was hatte ihn vertrieben, den Armin Witschi, den Maquereau? Etwa Schreiers, des Handharfenspielers, laut gesprochene Worte: &#0187;So, so, hat das Schlumpfli gestanden?&#0171;</p><p class="standard">War etwa das Gest&#0228;ndnis Schlumpfs nicht im Programm vorgesehen gewesen?</p><p class="standard">Wie leicht h&#0228;tte Studer den Aufenthaltsort des Armin erfahren k&#0246;nnen! Aber er wollte ihn vorl&#0228;ufig gar nicht wissen. Heut&#8217; am Morgen, beim Fr&#0252;hst&#0252;ck, hatte die Bertha, die Saaltochter, verweinte Augen gehabt. Sie hatte hin und wieder trocken aufgeschnupft und Studer hatte sich treuherzig erkundigt, was denn los sei?</p><p class="standard">&#8210; Gar n&#0252;d sei los, hatte die Bertha gemeint.</p><p class="standard">Da hatte Studer sich nicht beherrschen k&#0246;nnen und im gleichen treuherzigen Ton weitergefragt:</p><p class="standard">&#8210; Wieviel Geld sie denn dem Armin habe geben m&#0252;ssen?</p><p class="standard">&#8210; F&#0252;nfhundert Franken, ihr ganzes Erspartes! Aber der Wachtmeister m&#0252;sse das f&#0252;r sich behalten, ja nicht weiter sagen! Sobald die Versicherungen ausbezahlt seien, werde der Armin sie heiraten, das habe er ihr versprochen, ja, geschworen habe er es ihr. Sie wisse nicht, warum sie das jetzt dem Wachtmeister erz&#0228;hlt habe, sie h&#0228;tte nichts sagen sollen, der Armin habe ihr das Versprechen abgenommen ... und weiter in dem Ton. Studer hatte dem M&#0228;dchen beruhigend die Hand get&#0228;tschelt. Diese Saaltochter! Sie war nicht mehr jung, immer mu&#0223;te sie freundlich sein mit den G&#0228;sten, mu&#0223;te klobige Witze anh&#0246;ren, sich handgreifliche Z&#0228;rtlichkeiten gefallen lassen ... Und dann kam einer, wie der Armin Witschi ... Er war freundlich, r&#0252;cksichtsvoll, ungl&#0252;cklich, er war ein Studierter... Was Wunder, da&#0223; das M&#0228;dchen sich in ihn verliebte? Vielleicht war der Armin gar kein schlechter Kerl. Man m&#0252;&#0223;te mit dem Burschen einmal reden, hatte Studer gedacht und in sich hineingel&#0228;chelt: Wachtmeister Studer als Heiratsvermittler! ...</p><p class="standard">Sonja wartete auf eine Antwort. Sie blickte erwartungsvoll auf Studer.</p><p class="standard">&#0187;Der Armin wird schon wieder kommen&#0171;, sagte er. &#0187;Geh&#8217; jetzt mit der Frau Murmann. In einer Stunde fahren wir.&#0171;</p><p class="standard">Und Sonja ging.</p><p class="standard">Studer setzte sich an den Schreibtisch. Er nahm ein Folioblatt, legte es vor sich hin und schrieb ganz oben, in die Mitte des Bogens, das Wort:</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="Tkzentriert">BILANZ</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Dann begann er nachzudenken. Aber auch hier sollte er nicht weiterkommen. Eine der Haupteigenschaften des Falles Witschi schien die zu sein, da&#0223; es unm&#0246;glich war, irgendeinen Teil zu einem Abschlu&#0223; zu bringen. Hatte er nicht zum Beispiel gestern das Verhalten Ellenbergers und des Gemeindepr&#0228;sidenten beim &#0187;Zuger&#0171; beobachten wollen? Was war dazwischen gekommen? Nat&#0252;rlich ein Telephon, dann die Entdeckung Schreiers...</p><p class="standard">Und jetzt meldete sich selbstverst&#0228;ndlich das Schrillen der Telephonklingel. Studer hob den H&#0246;rer ab, sagte, wie er es in seinem Bureau in Bern gewohnt war:</p><p class="standard">&#0187;Ja?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Bist du&#8217;s, Studer?&#0171; fragte eine Stimme. Es war der Polizeihauptmann.</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, sagte Studer. &#0187;Was ist los?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Also pa&#0223; auf. Der Reinhardt hat heut&#8217; morgen die Waffengesch&#0228;fte abgeklopft. Gleich beim ersten hat er Gl&#0252;ck gehabt. Der Besitzer war schon im Laden, und er hat sich gut erinnert, da&#0223; er vor vierzehn Tagen einen Browning verkauft hat. Marke stimmt, Nummer stimmt. Er erinnert sich auch an den Mann, der ihn gekauft hat ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und?&#0171; fragte Studer, da der Hauptmann schwieg.</p><p class="standard">&#0187;Bist ungeduldig? Keine Aufregung, Studer. Du blamierst dich ja doch wieder... H&#0228;? ... Du bist so still, Studer. Also, der Reinhardt hat mir erz&#0228;hlt, der Waffenh&#0228;ndler erinnere sich noch gut an den K&#0228;ufer. Es war ein alter Mann, dem alle Z&#0228;hne gefehlt haben, er hat ein halbleiniges Kleid getragen. Dem Verk&#0228;ufer ist noch aufgefallen, da&#0223; der Mann braune moderne Halbschuhe getragen hat und schwarze seidene Socken. Er hat keinen Namen angegeben ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Das ist auch nicht n&#0246;tig gewesen.&#0171; Studer sprach stockend. Es war einerseits schwierig, diese Neuigkeit zu verdauen, andererseits hatte man etwas &#0196;hnliches erwartet...</p><p class="standard">&#0187;Du, pa&#0223; gut auf&#0171;, sagte Studer. &#0187;Ich schick&#8217; dir einen Browning, ich geb&#8217; ihn expre&#0223; auf, und dann wird dir das Gerichtsmedizinische die Kugel schicken, die im Sch&#0228;del vom Witschi steckengeblieben ist. Hast du einen Sachverst&#0228;ndigen bei der Hand? Ja? Gut. Du &#0252;bergibst ihm beides und l&#0228;&#0223;t dir ein Gutachten machen, ob die im Kopfe des Witschi gefundene Kugel aus dem Browning stammt, den ich dir schicke. Und der Reinhardt soll noch die andern Gesch&#0228;fte abklopfen. Vielleicht ist eine zweite Waffe von der gleichen Marke verkauft worden. Verstanden? &#8210; Und das Gutachten brauch&#8217; ich heut&#8217; abend. Sp&#0228;testens um f&#0252;nf. Auf Wiedersehen ...&#0171;</p><p class="standard">Studer hing den H&#0246;rer ganz vorsichtig an die Gabel, st&#0252;tzte die Wange auf seine Faust. Dabei fiel sein Blick auf das Wort &#8250;BILANZ&#8249;, das er sorgf&#0228;ltig an den Kopf eines wei&#0223;en Folioblattes gesetzt hatte. &#0187;Das hat Zeit&#0171;, dachte er, strich das Wort durch, faltete das Blatt vorsichtig zusammen und steckte es in die Rocktasche.</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Nasse Socken sind unangenehm. Besonders wenn man f&#0252;hlt, da&#0223; der Schnupfen, der sich vor zwei Tagen gemeldet hat, im Begriffe ist, sich in einen schweren Katarrh zu verwandeln. Schlie&#0223;lich, in einem gewissen Alter, wird man empfindlicher, man h&#0228;ngt mehr am Leben, man f&#0252;rchtet sich vor einer Lungenentz&#0252;ndung, man m&#0246;chte trockene W&#0228;sche anziehen, um dieser Gefahr zu entgehen. Aber wenn dies nicht m&#0246;glich ist (man kann doch einen hocheleganten Untersuchungsrichter mit seidenem Hemd nicht einfach bitten: &#0187;K&#0246;nnen Sie mir vielleicht ein Paar trockene Socken leihen? ...&#0171;), so bei&#0223;t man die Z&#0228;hne zusammen, auch wenn die Z&#0228;hne den undisziplinierten Vorsatz gefa&#0223;t haben, ein klapperndes Ger&#0228;usch zu erzeugen...</p><p class="standard">Das kam davon, wenn man sich wie ein Zwanzigj&#0228;hriger auf ein T&#0246;ff setzte und im str&#0246;menden Regen f&#0252;nfundzwanzig Kilometer fuhr. Und es war eigentlich gar kein Trost, da&#0223; Sonjas Str&#0252;mpfe auch na&#0223; waren.</p><p class="standard">Besagte Sonja wartete drau&#0223;en im Gang. Sie sa&#0223; klein und zusammengekauert auf einer Holzbank, und ein Polizist patrouillierte vor ihr auf und ab.</p><p class="standard">Studer sa&#0223; wieder auf dem allzu kleinen Stuhl, der sicher f&#0252;r die Angeklagten bestimmt war, sa&#0223; dem Untersuchungsrichter gegen&#0252;ber, der an seinem mit einem Wappen geschm&#0252;ckten Siegelring drehte und sagte:</p><p class="standard">&#0187;Ich begreife Sie nicht, Herr Studer. Die Sache ist doch erledigt. Wir haben das Gest&#0228;ndnis des Burschen, es ist vollst&#0228;ndig, er gibt an ... er gibt an ...&#0171; Der Untersuchungsrichter lie&#0223; den Ring sein und suchte nerv&#0246;s auf dem Tisch. Endlich kam der blaue Pappdeckelumschlag zum Vorschein, dessen Etikette die Worte trug: ERWIN SCHLUMPF MORD.</p><p class="standard">&#0187;Er gibt an...&#0171; sagte der Untersuchungsrichter zum drittenmal und k&#0228;mpfte mit den aufs&#0228;ssigen Seiten, &#0187;ah ... hier: Ich habe dem Herrn Witschi abgepa&#0223;t, habe ihn mit vorgehaltenem Revolver gezwungen abzusteigen. Er ist mir in den Wald gefolgt, allwo ich ihn gezwungen habe, mir seine Brieftasche auszuliefern, sowie seine Uhr und sein Portemonnaie. Ich wei&#0223; nicht, was mich dazu bestimmt hat, ihn nachher mit einem Schusse niederzustrecken, aber ich denke, ich habe Angst gehabt, da&#0223; er mich erkannt h&#0228;tte, obwohl ich ein schwarzes Tuch &#0252;ber die untere H&#0228;lfte meines Gesichtes gebunden hatte ... (Auf Befragen) Ich brauchte notwendig Geld, um mir ein Fahrrad zu kaufen. &#8210;&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter stockte. Studer schneuzte sich und blies Trompetensignale, unterbrach sie, nieste, aber das Niesen gemahnte an ein unterdr&#0252;cktes Kichern. Schlie&#0223;lich beruhigte er sich und fragte mit tr&#0228;nenden Augen:</p><p class="standard">&#0187;Hat das Schlumpfli wortw&#0246;rtlich so gesprochen? Ich meine, S&#0228;tze wie: &#8250;allwo ich ihn gezwungen habe, mir seine Brieftasche auszuliefern ...&#8249; und: &#8250;... was mich dazu bestimmt hat, ihn nachher mit einem Schusse niederzustrecken ...&#8249; Hat er das wirklich so gesagt?&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter war beleidigt.</p><p class="standard">&#0187;Sie wissen doch, Wachtmeister&#0171;, sagte er streng, &#0187;da&#0223; es uns obliegt, die Aussagen zu formulieren. Wir k&#0246;nnen doch nicht das ganze Gerede eines Angeklagten stenographieren. Die Akten w&#0252;rden zu B&#0228;nden anwachsen ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, das scheint mir immer ein gro&#0223;er Fehler. Ich w&#0252;rde die Worte der Angeklagten sowohl, als auch der Zeugen, nicht nur stenographieren, sondern die Worte auf Platten aufnehmen lassen. Man bek&#0228;me dann jeden Tonfall heraus ...&#0171;</p><p class="standard">Schweigen. Der Untersuchungsrichter war anscheinend beleidigt. Studer beschlo&#0223;, ihn zu vers&#0246;hnen. Er stand auf, ging zum offenen Kamin, der in einer Ecke des Raumes stand &#8210; und ein Holzfeuer flackerte darin, im Mai! &#8210; stellte sich mit dem R&#0252;cken dagegen und w&#0228;rmte sich die Schuhsohlen.</p><p class="standard">&#0187;Die Sache ist die, Herr Untersuchungsrichter, da&#0223; ich einige Merkw&#0252;rdigkeiten an dem Falle best&#0228;tigt gefunden habe. Darum f&#0228;llt es mir schwer, an die Schuld des Schlumpf zu glauben. Ich habe einen Zeugen mitgebracht, den ich gerne dem Burschen gegen&#0252;berstellen m&#0246;chte. Er ist drau&#0223;en im Gang. Nun sollten sich die beiden aber vorerst nicht sehen. Haben Sie nicht einen Raum, in dem mein Zeuge warten k&#0246;nnte? Ich werde ihn rufen, wenn es n&#0246;tig sein wird.&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter nickte. Er dr&#0252;ckte auf einen Knopf und gab dem eintretenden Polizisten den Befehl, die Person, die mit dem Wachtmeister gekommen sei, ins Wartzimmer zu tun (wie beim Zahnarzt, dachte Studer) und dann den Schlumpf Erwin vorzuf&#0252;hren. &#8210;</p><p class="standard">Schlumpfs erste Worte waren:</p><p class="standard">&#0187;Aber ich hab&#8217; doch gestanden, was wollt Ihr noch?&#0171;</p><p class="standard">Dann erst sah er den Wachtmeister, nickte ihm zu, hob kaum die Augen und wollte sich zu dem Stuhl schleichen; aber Studer ging ihm entgegen, streckte ihm die Hand hin:</p><p class="standard">&#0187;Und, Schlumpfli, wie geht&#8217;s seit dem letztenmal?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Nicht gut, Wachtmeister&#0171;, sagte Schlumpf und lie&#0223; seine Hand bewegungslos in der des anderen liegen. Studer dr&#0252;ckte die schlaffe Hand.</p><p class="standard">&#0187;Du hast dich anders besonnen, Schlumpfli, hab&#8217; ich geh&#0246;rt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, es hat mich zu arg gedr&#0252;ckt.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;A bah&#0171;, machte Studer und l&#0228;chelte. Schlumpf blickte erstaunt auf.</p><p class="standard">&#0187;Ja, glaubt Ihr mir nicht, Wachtmeister?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ich glaub&#8217; noch immer das, was du mir im Zug erz&#0228;hlt hast.&#0171; Studer nieste.</p><p class="standard">&#0187;G&#8217;sundheit&#0171;, sagte Schlumpf mechanisch. Er hockte auf dem Angeklagtenstuhl, hielt den Kopf gesenkt, manchmal schielte er nach Studer hin, als ob von dort eine Gefahr drohe. Er sah aus wie ein Schulbub, der das Kommen einer Ohrfeige wittert und nicht den Augenblick verpassen will, sie mit gehobenen Ellenbogen zu parieren.</p><p class="standard">&#0187;Ich will dir nichts tun, Schlumpfli&#0171;, sagte Studer, &#0187;ich will dir nur helfen. Hast du den Mann gekannt, der gestern wegen Autodiebstahl eingeliefert worden ist?&#0171;</p><p class="standard">Es gab Schlumpf einen Ruck. Er ri&#0223; die Augen auf, ri&#0223; den Mund auf, wollte sprechen, aber da sagte der Untersuchungsrichter:</p><p class="standard">&#0187;Was soll das, Wachtmeister?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Nichts, Herr Untersuchungsrichter. Der Schlumpf hat schon geantwortet.&#0171; Dann, nach einer kleinen Pause: &#0187;Ich darf doch rauchen?&#0171; und zog ein gelbes P&#0228;ckchen aus der Tasche. Grinsend: &#0187;Eine Zigarette. Und auch der Schlumpf wird gern eine nehmen. Es reinigt die Atmosph&#0228;re.&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter mu&#0223;te wider Willen l&#0228;cheln. Ein komischer Kauz, dieser Studer... In einer Ecke stand ein einsamer Stuhl. Studer packte ihn an der Lehne, schwang ihn ins Zimmer, setzte sich rittlings darauf, st&#0252;tzte die Unterarme auf die Lehne, blickte Schlumpf fest an und sagte:</p><p class="standard">&#0187;Warum schwindelst du den Herrn Untersuchungsrichter an? Das ist doch Chabis, du hast doch den Witschi ganz anders umgebracht. Du hast ihn aufgehalten, das kann vielleicht stimmen, hast ihm gesagt, es wolle ihn jemand sprechen, und wie er dann vor dir hergegangen ist, hast du ihn erschossen. Dann hast du die Leiche umgedreht, die Brieftasche genommen &#8210; stimmt&#8217;s? Wie du die Leiche verlassen hast, ist sie auf dem R&#0252;cken gelegen, nicht wahr? Sag&#8217; jetzt die Wahrheit. L&#0252;gen n&#0252;tzt nichts. Ich wei&#0223; es.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, Herr Wachtmeister. Auf dem R&#0252;cken ist er gelegen, der Mond hat geschienen, und der Witschi hat mich angeglotzt ... Ich bin gelaufen, gelaufen ...&#0171;</p><p class="standard">Studer stand auf, er schwenkte die Hand, wie ein Artist im Zirkus: &#0187;Quod erat demonstrandum &#8210; was zu beweisen war.&#0171;</p><p class="standard">Er war mit zwei Schritten am Tisch, bl&#0228;tterte im Aktenb&#0252;ndel, ri&#0223; eine Photographie heraus, hielt sie Schlumpf unter die Nase:</p><p class="standard">&#0187;So ist er gelegen, der Witschi, auf dem Bauch ist er gelegen, du Uli, verstehst? Und er hat unm&#0246;glich auf dem R&#0252;cken liegen k&#0246;nnen, weil keine Tannennadel auf seiner Kutte sind. Verstehst du das?&#0171;</p><p class="standard">Und dann, zum Untersuchungsrichter gewandt:</p><p class="standard">&#0187;Ist nicht noch eine Photographie da? Auf der nur der Kopf drauf ist?&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter war aus der Fassung geraten. Er st&#0246;berte im Aktenb&#0252;ndel. Doch, es war noch eine Photographie da, er wu&#0223;te es. Zwei, die den ganzen K&#0246;rper des Witschi zeigten, eine, auf der nur der Kopf war, der Kopf mit der Wunde hinter dem rechten Ohr und rundherum der Waldboden, mit Tannennadeln bedeckt. Er fand sie endlich und reichte sie Studer.</p><p class="standard">&#0187;Die Lupe&#0171;, sagte der Wachtmeister. Es klang wie ein Befehl.</p><p class="standard">&#0187;Hier, Herr Studer.&#0171; Der Untersuchungsrichter wurde ganz &#0228;ngstlich. Wie lange mu&#0223;te man sich noch den Anordnungen dieses Fahnders f&#0252;gen?</p><p class="standard">Studer ging ans Fenster. Es war still im Zimmer. Der Regen pritschelte eint&#0246;nig gegen die Scheiben. Studer starrte durch die Lupe, starrte, starrte ... Endlich:</p><p class="standard">&#0187;Ich mu&#0223; die Photo vergr&#0246;&#0223;ern lassen. Darf ich sie mitnehmen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Dies w&#0228;re eigentlich Sache der Untersuchungsbeh&#0246;rde&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter und versuchte seiner Stimme einen abweisend sachlichen Ton zu geben.</p><p class="standard">&#0187;Ja, und dann geht es drei Wochen. Ich hab&#8217; einen Mann bei der Hand, der es mir bis heut&#8217; abend macht. Also ich kann sie mitnehmen?&#0171; Studer erwischte ein Kuvert auf dem Tisch, ri&#0223; von einem Block einen Zettel ab, kritzelte ein paar Worte drauf, schlo&#0223; das Kuvert, dr&#0252;ckte auf den Klingelknopf. Der Polizist &#0246;ffnete die T&#0252;r. Studer stand schon vor ihm.</p><p class="standard">&#0187;Nimm dein Velo, fahr auf den Bahnhof, expre&#0223;. Da ist Geld. Aber rasch! ...&#0171;</p><p class="standard">Der Polizist schaute erstaunt auf den Untersuchungsrichter. Der nickte, etwas verlegen, dann sagte er:</p><p class="standard">&#0187;Aber zuerst f&#0252;hren Sie die Person herein, die mit dem Wachtmeister gekommen ist. Das haben Sie wohl vergessen, Herr Studer ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ganz richtig&#0171;, sagte Studer zerstreut. &#0187;Das hab&#8217; ich richtig vergessen.&#0171;</p><p class="standard">Er strich sich &#0252;ber die Stirn und massierte die Augendeckel mit Daumen und Zeigefinger.</p><p class="standard">Die schwarzen Punkte auf dem Nadelboden neben dem Kopf ... was hatten die schwarzen Punkte zu bedeuten? Sie sahen aus wie winzige Teilchen verkohlten Zigarettenpapiers ... Wenn man sie auf der Vergr&#0246;&#0223;erung als solche erkennen k&#0246;nnte! ... Schwierig, doch nicht ganz unm&#0246;glich ... Dann ... Dann hatte der Lehrer Schwomm vielleicht doch nicht gelogen, als er von zwei Sch&#0252;ssen sprach... Dann, ja, dann wurde die Sache bedeutend einfacher... Kinderleicht...</p><p class="standard">Ein kleiner, spitzer Schrei. Sonja stand in der T&#0252;r. Schlumpf war aufgesprungen.</p><p class="standard">&#0187;Gebt euch doch die Hand, Kinder&#0171;, sagte Studer trocken aus seiner Ecke heraus.</p><p class="standard">Die beiden standen voreinander, rot, verlegen, mit h&#0228;ngenden Armen. Endlich:</p><p class="standard">&#0187;Gr&#0252;e&#0223; di, Erwin.&#0171;</p><p class="standard">Antwort, gew&#0252;rgt:</p><p class="standard">&#0187;Gr&#0252;e&#0223; di, Sonja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Hocked ab!&#0171; sagte Studer und stellte seinen Stuhl dicht neben Schlumpf. Sonja nickte dem Wachtmeister dankend zu und setzte sich. Ganz leise sagte sie noch einmal und legte ihre kleine Hand mit den nicht ganz sauberen N&#0228;geln auf Schlumpfs Arm:</p><p class="standard">&#0187;Gr&#0252;e&#0223; di. Wie geht&#8217;s dir?&#0171;</p><p class="standard">Der Bursche schwieg. Studer stand wieder am Kamin, w&#0228;rmte sich die Waden und blickte auf die beiden. Der Untersuchungsrichter sah ihn fragend an. Studer winkte beschwichtigend ab: &#0187;Nur machen lassen.&#0171; Zum &#0220;berflu&#0223; legte er noch den Zeigefinger auf die Lippen:</p><p class="standard">Ein Windsto&#0223; lie&#0223; die Scheiben leicht klirren. Dann rauschte eint&#0246;nig der Regen. Ein neuer Windsto&#0223; fuhr in den Kamin, Studer war pl&#0246;tzlich von einer blauen Wolke umgeben. Er h&#0228;tte husten sollen, gewaltsam unterdr&#0252;ckte er den Reiz. Er wollte die Stille nicht st&#0246;ren...</p><p class="standard">Sonjas Hand streichelte den &#0196;rmel des Burschen auf und ab, fand das Handgelenk und blieb dort liegen.</p><p class="standard">&#0187;Bist ein Guter&#0171;, sagte Sonja leise. Ihre Augen waren weit offen und blickten in die Augen ihres Freundes. Und auch Schlumpf schaute und schaute. Studer erkannte sein Gesicht kaum wieder. Es l&#0228;chelte nicht, das Gesicht. Es war sehr ernst und ruhig. Es sah wirklich aus, als sei das Schlumpfli pl&#0246;tzlich erwachsen geworden.</p><p class="standard">&#0187;War&#8217;s sehr schwer?&#0171; fragte Sonja leise. Beide schienen vergessen zu haben, da&#0223; sie nicht allein im Zimmer waren. Pl&#0246;tzlich seufzte Schlumpf tief auf und dann lie&#0223; er den Oberk&#0246;rper nach vorne fallen. Sein Kopf lag auf dem Scho&#0223; des M&#0228;dchens. Die kleine Sonja schien zu wachsen. Gerade aufgereckt sa&#0223; sie da, ihre H&#0228;nde lagen gefaltet auf dem Kopf des Burschen Schlumpf.</p><p class="standard">&#0187;Ja, du bist ein Guter. Wei&#0223;t, ich hab&#8217; immer an dich gedacht. Immer, immer hab&#8217; ich an dich gedacht.&#0171; Es klang wie ein Wiegenlied.</p><p class="standard">Stockend, kaum zu verstehen, denn Schlumpf lie&#0223; den Kopf liegen, wo er war, und das Kleid d&#0228;mpfte noch die Worte:</p><p class="standard">&#0187;Ich hab&#8217;s gern f&#0252;r dich getan.&#0171; Dann fuhr der Kopf in die H&#0246;he, Schlumpf l&#0228;chelte. Es war ein merkw&#0252;rdig verkrampftes L&#0228;cheln; und er sagte:</p><p class="standard">&#0187;Wei&#0223;t, ich bin den Betrieb schon gewohnt.&#0171;</p><p class="standard">Wenn auch der Kopf sich frei gemacht hatte, Sonjas verschr&#0228;nkte H&#0228;nde lagen noch immer im Nacken des Burschen. Sie zog ihn n&#0228;her, k&#0252;&#0223;te ihn auf die Stirn.</p><p class="standard">&#0187;Darfst nicht mehr dran denken, gell? Nie mehr! Das ist vorbei ...&#0171;</p><p class="standard">Schlumpf nickte eifrig.</p><p class="standard">Studer hustete. Es ging einfach nicht mehr, der Rauch setzte sich sonst in seiner Lunge fest. Sein Schneuzen klang wieder wie ein Trompetensignal, aber wie ein triumphierendes. Das Gesicht des Untersuchungsrichters war weich geworden. Er spielte mit einem Papiermesser, trommelte auf dem Aktendeckel, auf dem in sch&#0246;ner Rundschrift stand SCHLUMPF ERWIN<b class="emphasis"> </b>und darunter in Blockbuchstaben: MORD.</p><p class="standard">Er legte den Brief&#0246;ffner leise ab, klopfte das Aktenb&#0252;ndel mit der Kante auf den Tisch. Dann nahm er einen dicken Schm&#0246;ker, der am Rande seines Schreibtisches lag, schob den Akt Schlumpf darunter und schlug mit der flachen Hand ein paarmal auf den Buchdeckel.</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, sagte er und es war ein Seufzer. Er war Junggeselle, sch&#0252;chtern wahrscheinlich. Vielleicht beneidete er den Burschen Schlumpf. &#0187;Ja&#0171;, sagte er noch einmal, diesmal ein wenig fester. &#0187;Und was hat das alles zu bedeuten, Herr Studer?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Oh, n&#0252;t Apartigs&#0171;, sagte Studer. &#0187;Sonja Witschi m&#0246;chte eine Aussage machen.&#0171;</p><p class="standard">Nun war dies sicher eine &#0220;bertreibung, denn Sonja Witschi hatte sich bis jetzt immer standhaft geweigert, eine Aussage zu machen. Sie war sogar stumm gewesen wie ein Fisch.</p><p class="standard">&#0187;Fr&#0228;ulein Witschi&#0171;, der Untersuchungsrichter war &#0252;beraus h&#0246;flich. &#0187;Ich werde sogleich meinen Schreiber rufen lassen, und dann werden Sie uns mitteilen, ob Sie etwas &#0252;ber den Tod Ihres Vaters auszusagen haben.&#0171; Er sah nicht auf und &#0228;rgerte sich innerlich &#0252;ber die Phrase.</p><p class="standard">Studer meldete sich. Er wolle gern den Gerichtsschreiber machen, sagte er. Dann sei man mehr unter sich. Und er k&#0246;nne ganz gut mit der Maschine umgehen, wenn es sein m&#0252;sse. Mit zwei Fingern zwar. Aber es werde wohl langen, wenn Sonja nicht zu schnell erz&#0228;hle. Der Untersuchungsrichter nickte. Schlumpf mu&#0223;te aufstehen, er stand an der Wand und starrte auf Sonja. Und Sonja begann zu erz&#0228;hlen.</p></div></div></div></body>
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