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    <title>pt14.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt14"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000026">Anastasia Witschi, geb. Mischler</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Studer hatte Frau Witschi nur fl&#0252;chtig gesehen, damals, bei seiner Ankunft Und da&#0223; er sie Anastasia getauft hatte, ganz unbewu&#0223;t (merkw&#0252;rdigerweise hatte der Name gestimmt), das hatte doch einen ganz verst&#0228;ndlichen Grund gehabt.</p><p class="standard">Frau Witschi sah n&#0228;mlich aus wie eine Karikatur der Zensur. Und die Franzosen hatten w&#0228;hrend des Krieges die Zensur Anastasie getauft...</p><p class="standard">Nachdem Frau Witschi ihre Fragen abgeschossen hatte, verschnaufte sie ein wenig. Ihre Blicke ruhten mi&#0223;billigend auf Studers Begleiter. Was der da wolle, fragte sie, und diese letzte Frage war ganz besonders giftig; ihre Stimme &#0252;berschlug sich. Schreier wurde rot.</p><p class="standard">Studer f&#0252;hlte sich unbehaglich, aber er lie&#0223; sich nichts anmerken. Und da&#0223; seine Zehen in den Schuhen kleine T&#0228;nze auff&#0252;hrten, das sah niemand.</p><p class="standard">&#0187;Wir haben Sie gesucht, Frau Witschi&#0171;, sagte Studer und seine Stimme wurde ganz tief, wahrscheinlich als Ausgleich gegen die allzu hohe der Frau. &#0187;Wir haben uns den Garten angesehen. Ein sch&#0246;ner Garten, wirklich ein wunderbarer Garten. Es fehlt ein wenig an der Pflege, aber nat&#0252;rlich, das ist begreiflich ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Sind Sie noch nie hier oben gewesen?&#0171; fragte Frau Witschi. Studer sah sie an. War die Frage eine Falle? Nein ...</p><p class="standard">wahrscheinlich nicht ... Also hatte Sonja nichts von seinem Besuch erz&#0228;hlt. &#0220;brigens wartete Frau Witschi gar nicht auf eine Antwort.</p><p class="standard">&#8210; Wenn der Wachtmeister etwas zu fragen habe, so solle er nur eintreten ... &#0187;Ich habe nichts zu verbergen&#0171;, sagte sie. &#0187;Nein, gewi&#0223; nicht. <i class="quote">Unser </i>Gewissen ist rein, was nicht alle Leute behaupten k&#0246;nnen.&#0171;</p><p class="standard">Jetzt wurde Schreier bla&#0223;. Er zitterte. Merkw&#0252;rdig, wie empfindlich diese anscheinend abgebr&#0252;hten Burschen im Grunde waren!...</p><p class="standard">&#0187;Ruhig, ruhig&#0171;, sagte Studer leise und legte die Hand auf die Schulter des Burschen. &#0187;Geh&#8217; wieder zur&#0252;ck. Ich dank&#8217; dir auch. Du hast mir viel geholfen. Leb&#8217; wohl&#0171;</p><p class="standard">Schreier gab dem Wachtmeister schweigend die Hand. Die alte Frau gr&#0252;&#0223;te er nicht.</p><p class="standard">&#0187;<i class="quote">Sie</i> sind viel zu gut mit diesen Leuten, Herr Wachtmeister.&#0171; (Frau Witschi betonte das Sie, Studer sollte merken, da&#0223; sie nicht zu den kommunen Leuten geh&#0246;re, die alle Welt ihren.) &#0187;Treten Sie ein, wir wollen nicht vor der T&#0252;r stehenbleiben.&#0171;</p><p class="standard">Die K&#0252;che war sauber. Kein schmutziges Geschirr stand mehr im Sch&#0252;ttstein. Der Str&#0228;hl war verschwunden. Auch das Wohnzimmer war aufger&#0228;umt.</p><p class="standard">Die Vase unter Wendelin Witschis Bild fehlte.</p><p class="standard">&#0187;Nehmen Sie Platz, Herr Studer. Ich hol&#8217; etwas zum Trinken. Sie werden sicher Durst haben.&#0171;</p><p class="standard">Und Frau Witschi kam zur&#0252;ck mit einer Flasche Himbeersirup und zwei Gl&#0228;sern. Studer mu&#0223;te wohl oder &#0252;bel mittrinken. Es sch&#0252;ttelte ihn gelinde.</p><p class="standard">&#0187;Mein armer Mann&#0171;, sagte Frau Witschi und zog die Luft durch die Nase. Sie wischte sich die Augen mit ihrem Taschentuch. Aber die Augen waren trocken und blieben es.</p><p class="standard">&#0187;Ja, ja&#0171;, meinte Studer und hielt die Hand &#0252;ber sein Glas, das Frau Witschi wieder mit der klebrigen Fl&#0252;ssigkeit f&#0252;llen wollte. &#0187;Es ist traurig, da&#0223; er so hat ums Leben kommen m&#0252;ssen. Aber es war vielleicht doch ein Gl&#0252;ck ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ein Gl&#0252;ck? Wieso ein Gl&#0252;ck? Was meinen Sie?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Eh, wegen der Versicherung ...&#0171; sagte Studer und z&#0252;ndete umst&#0228;ndlich eine Brissago an. Eine Sturzflut von Worten ergo&#0223; sich &#0252;ber ihn. Und Studer lie&#0223; sie brausen ...</p><p class="standard">Es war merkw&#0252;rdig, fast wie eine Vision:</p><p class="standard">&#8210; &#8210; &#8210; Das Zimmer ist dunkel, ganz pl&#0246;tzlich. Die Lampe, von einem gr&#0252;nen Schirm verhangen, gibt ein d&#0252;steres Licht. Leere Teller stehen auf dem Tisch. Am oberen Ende sitzt der verstorbene Wendelin Witschi. Rechts neben ihm seine Frau, links Sonja, ihm gegen&#0252;ber der Sohn.</p><p class="standard">Witschi schweigt, M&#0252;digkeitsfalten liegen um seinen Mund, auf seiner Stirn. Ununterbrochen schwatzt die Frau. Sie klagt. Er sei schuld, nur er allein. Er habe die Familie in Schulden gest&#0252;rzt, nun sei es an ihm, das gestrandete Schiff wieder flott zu machen. Geld habe er aufgenommen, ohne jemanden zu fragen &#8210; und die Kreugeraktien, die habe doch <i class="quote">er </i>gekauft, oder? Witschi hebt die Hand, die wei&#0223;e, d&#0252;rre Hand, so, als wolle er Einspruch erheben. Aber die Frau lafert weiter. Nichts da, er habe zu schweigen, ganz zu schweigen. Und dann fl&#0252;stert sie pl&#0246;tzlich: Die Versicherungen br&#0228;chten Geld ... Ein Unfall ... Nichts Arges. Aber er m&#0252;sse so ausgef&#0252;hrt werden, da&#0223; er wie ein &#0220;berfall aussehe ... Es seien ja genug Vorbestrafte im Dorf, auf die man die Schuld schieben k&#0246;nne...</p><p class="standard">Der Sohn mischt sich ein. Die Schwester habe ja ein Geschleipf mit so einem, sie m&#0252;sse die Sache &#0252;bernehmen. Den Burschen zu einem Rendezvous bestellen, damit er kein Alibi beibringen k&#0246;nne ... Dann k&#0246;nne man ihn anklagen, und wenn der Vater ihn wiedererkenne, dann k&#0246;nne der Bursche gar nichts machen...</p><p class="standard">Oben am Tisch hat der Witschi die H&#0228;nde gefaltet, er sch&#0252;ttelt den Kopf, unaufh&#0246;rlich, aber kein Mensch sieht auf ihn. Der Redestrom geht weiter. Der Sohn l&#0246;st die Mutter ab, die Mutter den Sohn. Sonja sitzt still da, weint in ihr Taschentuch. Es n&#0252;tzt nichts, Sonja findet nirgends Schutz vor den Pl&#0228;nen der beiden andern ... &#8210; &#8210; &#8210;</p><p class="standard">Wie oft hatte sich die Szene abgespielt, so wie Studer sie sah und h&#0246;rte, jetzt, im Wohnzimmer der Familie Witschi, w&#0228;hrend die alte Anastasia auf ihn einredete und ihre Worte an seinen Ohren vorbeisausten wie ein saurer Biswind?</p><p class="standard">Studer nickte, nickte ununterbrochen zu den Worten der Frau. Es war ja alles gelogen, warum also zuh&#0246;ren? ...</p><p class="standard">Er sah den Schuppen vor sich, ganz deutlich.</p><p class="standard">&#8210; &#8210; &#8210; Die Frau hat eine Stallaterne in der Hand. Und Witschi probiert den Revolver aus. Er schie&#0223;t auf das wei&#0223;gehobelte Rechteck der T&#0252;r, immer aus einer Entfernung von zehn Zentimeter. Nicht mehr, nicht weniger. Er probiert es mit einem Zigarettenbl&#0228;ttchen, dann mit dreien, dann mit f&#0252;nfen. Bei welcher Zahl gibt es keine Deflagrationsspuren mehr? &#8210; &#8210; &#8210;</p><p class="standard">F&#0252;nfzehn Patronen, dachte Studer... Wo war wohl die Schachtel? Man sollte sie finden. Und immer das Bild, das sich dazwischenschob:</p><p class="standard">Der Witschi, der beim Schein der Stallaterne Schie&#0223;&#0252;bungen veranstaltet ... Die Frau h&#0228;lt sicher einen Sack, um den Schall abzud&#0228;mpfen. ---</p><p class="standard">War es sonst m&#0246;glich, da&#0223; keiner der Nachbarn etwas geh&#0246;rt hatte? ... Vielleicht hatten sie etwas geh&#0246;rt, das n&#0228;chste Haus stand in etwa f&#0252;nfzig Meter Entfernung ... Sollte man dort fragen gehen?</p><p class="standard">Und wie aus einem Traum heraus, mitten in den Redestrom der Frau Witschi, sagte Studer mit leiser Stimme:</p><p class="standard">&#0187;Wie Ihr Mann auf die T&#0252;r im Schuppen geschossen hat, haben Sie da einen Sack gehabt, um den Schall abzud&#0228;mpfen?&#0171;</p><p class="standard">Das Glas zerschellte auf dem Boden. Frau Witschi hatte die Augen weit aufgerissen, das H&#0228;utchen, das &#0252;ber dem einen lag, war wei&#0223;.</p><p class="standard">&#0187;Wie? ... Was? ...&#0171; stotterte Frau Witschi.</p><p class="standard">&#0187;Nichts, nichts&#0171;, Studer winkte m&#0252;de ab. &#0187;Es hat ja alles keinen Wert, der Schlumpf hat ja gestanden.&#0171; Aber unter den halbgesenkten Lidern beobachtete Studer neugierig die Frau.</p><p class="standard">Ein Aufatmen. Frau Witschi stand auf, ging in die K&#0252;che, kam mit einer K&#0252;derschaufel zur&#0252;ck und wischte die Scherben zusammen.</p><p class="standard">&#0187;Scherben bringen Gl&#0252;ck&#0171;, sagte Studer leise.</p><p class="standard">Ein giftiger Blick der Frau. Dann:</p><p class="standard">&#0187;So! Hat der M&#0246;rder endlich gestanden! Ein Gl&#0252;ck! Dann habt Ihr ja hier nichts mehr zu tun, Wachtmeister!&#0171; (&#0187;Ihr&#0171; statt &#0187;Sie&#0171;! Studer l&#0228;chelte.)</p><p class="standard">&#0187;Sie haben ganz recht, Frau Witschi, ich hab&#8217; nichts mehr zu tun ...&#0171;</p><p class="standard">Wie sp&#0228;t war es? Drau&#0223;en war noch heller Tag. Der Schuppen stand am Ende des Gartens, man sah ihn gut durchs Fenster. Studer blickte lange hin. Er dachte: Diese Nacht sollte ich hier in der N&#0228;he Posten stehen, die Mutter und der Sohn werden versuchen, die T&#0252;r zu verbrennen. H&#0228;tt&#8217; ich nichts sagen sollen? Doch, es war ganz gut. So ein Schreckschu&#0223; ist manchmal ganz gut. Obwohl der ganze Fall hoffnungslos ist. D&#0252;ster, d&#0252;ster... Er hat recht, der Kommiss&#0228;r Madelin! Ein Mordfall auf dem Land! ... Wollen wir den Witschi in Frieden lassen? Er hat sich geopfert f&#0252;r die Familie ... Er hat sich erschossen, damit die Versicherung zahlt... Hat er wirklich geschossen? ... Mit dem rechtwinklig abstehenden Arm? ... Vielleicht steckt doch mehr hinter dem Fall ... Aber wer hat dann geschossen? ... Der Schlumpf? ... Doch der Schlumpf? ... Kann man einen Mord aus Liebe begehen? ... Warum nicht? Gleichwohl, es ist unwahrscheinlich... Der Armins Der Maquereau? ... Nein, nein, zu feig... Die Mutter? ... Chabis! ... Wer dann? Wenn man nur w&#0252;&#0223;te, wer den Revolver gekauft hat, vielleicht g&#0228;be das einen Anhaltspunkt...</p><p class="standard">&#0187;Wo schafft Ihre Tochter in Bern?&#0171; fragte Studer laut.</p><p class="standard">&#0187;Beim Loeb&#0171;, die Stimme der alten Frau zitterte. Man sollte sie in Ruhe lassen, die Frau Anastasia, dachte Studer. Er streckte die Hand aus, um sich zu verabschieden. Aber Frau Witschi sah die Hand nicht. Sie ging mit winzigen Schritten zur T&#0252;r, &#0246;ffnete sie. Auf ihrem Gesicht stand ein gefrorenes L&#0228;cheln.</p><p class="standard">&#0187;Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister&#0171;, sagte sie. Studer neigte stumm den Kopf..</p></div></div></div></body>
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