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    <title>pt13.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt13"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000024">Witschis Schie&#0223;stand</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Ich kenn&#8217; den Schlumpf gut&#0171;, sagte Schreier und pa&#0223;te seinen Schritt dem des Wachtmeisters an. &#0187;Und ich hab&#8217; ihm von Anfang an gesagt, wie er zum Ellenberger gekommen ist: &#8250;Pa&#0223; auf&#8249;, hab&#8217; ich ihm gesagt, &#8250;nur keine Weibergeschichten, das kommt immer schlecht heraus. Eine Kellnerin, das macht nichts. Aber nur kein Meitschi vom Dorf.&#8249; Hab&#8217; ich nicht recht, Wachtmeister?&#0171;</p><p class="standard">Studer brummte, seufzte. Die Vorbestraften hatten es nicht leicht, wenn sie wieder drau&#0223;en Arbeit gefunden hatten. Es brauchte sie nur einer wieder zu erkennen, ihnen &#0187;Zuchth&#0228;usler&#0171; nachzurufen &#8210; was sollten sie dann machen? Klagen? Man brauchte ja nicht einmal das Wort zu brauchen, das Wort, das als &#0228;rgste Beleidigung galt, einfach durch das Verhalten zu ihnen konnte man die Verachtung zeigen, die man f&#0252;r sie empfand. Im Grunde waren es ja meistens gar keine schlechten Teufel ... Wie Studer damals den Schreier arretiert hatte, mit was war der Bursche besch&#0228;ftigt? Er half der Frau, bei der er wohnte, Bohnen r&#0252;sten. Na, ja ... &#0187;Was willst du mir zeigen?&#0171; fragte Studer.</p><p class="standard">&#0187;Das werdet Ihr sehen, Wachtmeister. Der Witschi hat n&#0228;mlich Selbstmord begangen ...&#0171;</p><p class="standard">Wieder diese Behauptung! Murmann war der gleichen Meinung ... Selbstmord! ... Aber Herrgott noch einmal! Der Witschi hatte doch nicht hexen k&#0246;nnen! ...</p><p class="standard">Er hatte wohl lange Arme gehabt, der Witschi. Aber angenommen, er h&#0228;tte den Revolver hinter das rechte Ohr halten und den Schu&#0223; in dieser Stellung abgeben k&#0246;nnen, dann blieb dennoch <i class="quote">eine </i>unerkl&#0228;rliche Tatsache: der Mangel an Pulverspuren. Eine leichtere Ladung? Unwahrscheinlich. Wie dann? Angenommen, der Witschi h&#0228;tte die Courage gehabt &#8210; dann war jemand nach dem Selbstmord gekommen, um den Browning zu holen. Den Browning, der dann unter dem Packpapier in der K&#0252;che der Frau Hofmann versteckt worden war. Von wem? Wer hatte den Revolver geholt? Eine abgekartete Sache?</p><p class="standard">&#0187;Wie bist du auf den Gedanken gekommen, da&#0223; der Witschi sich selbst erschossen hat?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Das will ich Euch gerade zeigen ...&#0171;</p><p class="standard">Auf der Stra&#0223;e heulten Autos. Motorr&#0228;der knatterten geh&#0228;ssig. Man sp&#0252;rte den Sonntag. Verlassen sahen die H&#0228;user aus, aber sie waren nicht stumm, nicht einmal heute. Ein Kr&#0228;chzen hier, ein Summen dort, manchmal ein Melodiefetzen ..</p><p class="standard">Die Lautsprecher Gerzensteins spielten mit den atmosph&#0228;rischen St&#0246;rungen, es war niemand da, der sie beaufsichtigte ... So trieben sie Schabernack, f&#0252;r sich allein, um die Langeweile des einsamen Nachmittags zu w&#0252;rzen ... In der Woche gab es so viel zu tun f&#0252;r sie. Sie sangen, sie spielten, sie sprachen. Professoren, Bundesr&#0228;te, Pfarrer, Psychologen &#8210; gehorsam bl&#0246;kten die Lautsprecher die Worte nach, die irgendein bedeutender Herr von seinem Manuskripte ablas &#8210; und die Worte drangen in die Ohren der Gerzensteiner, durchweichten die K&#0246;pfe ... Sie wirkten wie ein Landregen auf Moorland ... Die Lautsprecher waren die Beherrscher Gerzensteins. Redete nicht selbst der Gemeindepr&#0228;sident Aeschbacher mit der Stimme eines Ansagers?...</p><p class="standard">Da war endlich Witschis Haus. Auch hier kr&#0228;chzte es durch die geschlossenen L&#0228;den, so laut, da&#0223; Studer zuerst meinte, es sei eine Gesellschaft in einem der Zimmer versammelt ... Aber es war eben doch nur einer der einsamen Lautsprecher, der sich die Zeit vertrieb...</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="Tkzentriert">Alpenruh</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">in blauer Farbe, die abzubr&#0246;ckeln begann.</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="Tkzentriert"><i class="quote">Gr&#0252;&#0223; Gott, tritt ein, bring Gl&#0252;ck herein &#8230; .</i></p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Warum wirkte der Spruch auf Studer wie ein Hohn? Gl&#0252;ck? Waren die Witschis wirklich einmal gl&#0252;cklich gewesen? Er sah den Witschi Wendelin in Hemds&#0228;rmeln die Zeitung lesen, aufstehen, den losen Trieb eines Spalierbaumes anbinden ... Die Ladenklingel schrillte ... Gespr&#0228;che &#0252;ber Politik...</p><p class="standard">Und jetzt lag Witschi in einem kaltwei&#0223;en Raum mit einem Schu&#0223; hinter dem rechten Ohr...</p><p class="standard">Studer sch&#0252;ttelte sich. Schreier sagte:</p><p class="standard">&#0187;Kommt nur mit, Wachtmeister!&#0171; und ging voran durch den Garten, auf den alten, verfallenen Schuppen zu, dessen Dachst&#0252;tzen eingeknickt waren ... Die T&#0252;r fehlte, an ihrer Stelle g&#0228;hnte ein schwarzes Loch.</p><p class="standard">Aber im Schuppen war es nicht einmal so dunkel. Einige Dachziegel fehlten. Das sp&#0228;rliche Licht, das durch die L&#0246;cher drang, vermischte sich mit der Finsternis zu einer grauen D&#0228;mmerung ...</p><p class="standard">Zerbrochene Spaten, ein verbogener Rechen, leere Kisten, Holzwolle, Persilkartons, Packpapier... Winzige, gl&#0228;nzende Staubteilchen tanzten in den Lichtbalken, die vom Dach zum Boden reichten.</p><p class="standard">&#0187;Und?&#0171; fragte Studer. Er mu&#0223;te husten. Die Luft im Schuppen legte sich ihm auf die Lungen.</p><p class="standard">Schreier war an einen Stapel Kisten getreten, er r&#0228;umte ihn vorsichtig beiseite, zog schlie&#0223;lich eine T&#0252;r hervor, die T&#0252;r des Schuppens offenbar, an der noch die rostigen Angeln hingen.</p><p class="standard">&#0187;Habt Ihr eine Taschenlampe?&#0171; fragte der Bursche. &#0187;Ja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Z&#0252;ndet einmal&#0171;, verlangte Schreier.</p><p class="standard">Studer lie&#0223; den Lichtkegel &#0252;ber die T&#0252;r streichen. Er pfiff ganz leise zwischen den Z&#0228;hnen.</p><p class="standard">Zwei, vier, sechs, zehn &#8210; f&#0252;nfzehn Einsch&#0252;sse. &#0220;ber die Mitte der T&#0252;re verteilt. Sie sa&#0223;en alle in einem Rechteck, das etwa sechzig Zentimeter hoch und vierzig Zentimeter breit war. Und das Rechteck, in dem die Sch&#0252;sse sa&#0223;en, war ein heller Fleck in der sonst altersschwarzen T&#0252;r. Studer beugte sich tiefer. Richtig, das Rechteck war gehobelt worden. Man sah noch die Spuren des Hobels...</p><p class="standard">Aber das Merkw&#0252;rdigste an diesen Einsch&#0252;ssen war folgendes:</p><p class="standard">Die ersten Einsch&#0252;sse, links oben im Rechteck, zeigten deutlich an ihren kreisf&#0246;rmigen R&#0228;ndern Verbrennungsspuren.</p><p class="standard">&#0187;Deflagrationsspuren!&#0171; sagte Studer leise.</p><p class="standard">Es waren f&#0252;nf L&#0246;cher, die solche Spuren trugen. Beim sechsten Loch waren die Spuren geringer, sie nahmen ab, je weiter unten im Rechteck die Einsch&#0252;sse sa&#0223;en. Die letzten drei Einsch&#0252;sse hatten saubere R&#0228;nder, das Holz um sie herum war wei&#0223; ..</p><p class="standard">Die T&#0252;r war dick. Alle Kugeln steckten im Holz. Studer nahm den d&#0252;nnen Bleistift aus seinem Notizbuch und begann die Tiefe der L&#0246;cher zu messen. Die Lampe hatte er Schreier in die Hand gedr&#0252;ckt. Er ma&#0223; verschiedene Male, er gab sich M&#0252;he, er pre&#0223;te den Daumennagel fest auf den Bleistift, um so genau als m&#0246;glich &#8210; auf den Bruchteil eines Millimeters &#8210; den Unterschied festzustellen, der vielleicht in der Tiefe der L&#0246;cher bestand. Alle f&#0252;nfzehn L&#0246;cher waren gleich tief. Also waren auch die letzten Sch&#0252;sse, deren R&#0228;nder sauber geblieben waren, aus der gleichen Entfernung abgegeben worden wie die ersten. Warum aber hatten nur die ersten verbrannte R&#0228;nder?</p><p class="standard">&#0187;Warum haben nur die ersten L&#0246;cher Pulverspuren?&#0171; fragte Studer laut.</p><p class="standard">Schreier kicherte. Es war ein unangenehmes Ger&#0228;usch. Es erinnerte Studer an Zuchthaus, dieses Kichern. Es klang so verdr&#0252;ckt.</p><p class="standard">&#0187;Red&#8217; schon, wenn du etwas wei&#0223;t&#0171;, schnauzte er.</p><p class="standard">&#0187;Ich bin ja nicht sicher, Wachtmeister&#0171;, sagte Schreier. &#0187;Aber Ihr wi&#0223;t es doch auch: wenn man vor die M&#0252;ndung ein Blatt Papier h&#0228;lt und dann abdr&#0252;ckt, so bleiben alle Pulverteilchen an dem Papier haften und ...&#0171;</p><p class="standard">Studer wurde b&#0246;se:</p><p class="standard">&#0187;Und du bildest dir ein, der Witschi hat vor die M&#0252;ndung ein Zeitungsblatt gehalten, mit der linken Hand, und dann den Schu&#0223; abgegeben? Mach mir das einmal vor...&#0171;</p><p class="standard">Schreier sch&#0252;ttelte den Kopf. Er zog etwas aus der Tasche, lie&#0223; das Licht darauf fallen. Es war ein rotes Kartonviereck. &#0187;Riz La Croix&#0171; stand darauf zu lesen. Der Umschlag eines Heftchens Zigarettenpapiers.</p><p class="standard">&#0187;Das hab&#8217; ich hier im Schuppen gefunden&#0171;, sagte Schreier bescheiden. &#0187;Damals, wie ich hier gest&#0246;bert hab&#8217;. Am Tag nach der Verhaftung vom Schlumpf. Ja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und?&#0171; fragte Studer.</p><p class="standard">&#0187;Es rollt keiner in der Familie seine Zigaretten selbst. Der alte Witschi hat Stumpen geraucht, in der letzten Zeit Pfeife. Der Armin raucht englische Zigaretten, dieselben, die sie im Laden f&#0252;hren. Also ...&#8220;</p><p class="standard">&#0187;Also?&#0171; fragte Studer. Der Schreier begann ihn zu interessieren.</p><p class="standard">&#0187;Ich hab&#8217; mir die Sache so vorgestellt: Der alte Witschi hat ein paar Zigarettenbl&#0228;ttli genommen und sie, zusammengekn&#0252;llt, vorne in den Lauf gesto&#0223;en. Er hat ausprobieren m&#0252;ssen, wie viele es braucht, um saubere Einschu&#0223;&#0246;ffnungen zu bekommen. Darum hat er so oft geschossen. Bis es gegangen ist ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Einleuchtend&#0171;, sagte Studer. &#0187;Kompliziert, aber nicht unm&#0246;glich.&#0171;</p><p class="standard">Er drehte gedankenvoll den roten Pappdeckel zwischen den Fingern. Ein d&#0252;nnes wei&#0223;es Bl&#0228;ttchen haftete noch daran. Studer ri&#0223; es ab, hielt es zwischen den Fingern, z&#0252;ndete es mit einem Streichholz an und lie&#0223; es auf seiner Handfl&#0228;che verbrennen. Es gab eine kurze, sehr helle Flamme. Auf die Asche lie&#0223; Studer den Lichtkegel der Lampe fallen. Ein winziger schwarzer Rest. Und doch, angenommen, Witschi hatte ein paar Bl&#0228;ttli gebraucht, so war die Asche sicher nicht ganz verschwunden. Spuren davon mu&#0223;ten in der Wunde zu finden sein. Aber der Assistent im Gerichtsmedizinischen hatte von nichts Derartigem gesprochen. Und Studer war sicher, da&#0223; die Untersuchung gr&#0252;ndlich gef&#0252;hrt worden war... Man mu&#0223;te dem Italiener noch einmal anl&#0228;uten, schade, da&#0223; heute Sonntag war...</p><p class="standard">&#0187;Das hast du gut gemacht, Schreier, ich w&#0228;r&#8217; nie auf den Gedanken gekommen. Aber ob wir damit ein Geschworenengericht &#0252;berzeugen k&#0246;nnen? Und dann der Browning? Der ist doch nicht neben der Leiche gelegen ... Wer hat den aufgelesen? Fortgebracht?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Der Schlumpf nat&#0252;rlich&#0171;, sagte Schreier. &#0187;Aber wollen wir nicht weitergehen, Wachtmeister? Die Alte&#0171; &#8210; Schreier meinte Frau Witschi &#8210; &#0187;kann jeden Moment heimkommen. Von vier bis f&#0252;nf schlie&#0223;t sie ihren Kiosk. Sogar am Sonntag, und es ist schon f&#0252;nf Minuten &#0252;ber vier ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Versorg&#8217; noch die T&#0252;r&#0171;, sagte er. Und Schreier nahm die T&#0252;re, lehnte sie an die Wand, schichtete Kisten, Schachteln davor auf...</p><p class="standard">&#0187;Wenn sie nur nicht verbrannt wird&#0171;, seufzte Studer. &#0187;Dann haben wir keinen Beweis mehr... Beweis? ... Sch&#0246;ner Beweis!&#0171;</p><p class="standard">Sie verlie&#0223;en den Schuppen, gingen durch den Garten, blieben einen Augenblick in der Gartent&#0252;r stehen und sahen zum Hause zur&#0252;ck. Als sie auf die Stra&#0223;e treten wollten, versperrte ihnen eine magere, schwarze Gestalt den Weg.</p><p class="standard">&#0187;Hat der Herr mich gesucht? Oder was hat er sonst zu suchen? Auf <i class="quote">meinem </i>Grundst&#0252;ck? Der <i class="quote">Herr Wachtmeister</i>!&#0171;</p><p class="standard">Nach jeder Frage stieg die Stimme ein wenig h&#0246;her...</p></div></div></div></body>
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