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    <title>pt12.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt12"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000022">The Convict Band</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Der alte Ellenberger sah mit seinem wei&#0223;en Verband rund um den Kopf einem Variet&#0233;fakir &#0228;hnlich, der seinen Vorstellungssmoking versetzt hat und nun in einem geliehenen Anzug spazieren gehen mu&#0223;. Er spazierte zwar nicht, er sa&#0223; einsam und still an einem der vielen runden Eisentischchen, die mit ihren roten Decken aussahen wie Fliegenpilze in der Phantasie eines expressionistischen Malers...</p><p class="standard">Das Wetter war heiter, warm und es schien sogar best&#0228;ndig. Die Kastanienb&#0228;ume im Garten des &#0187;B&#0228;ren&#0171; trugen steife rote Pyramiden an ihren &#0196;sten und ihre Bl&#0252;ten fielen auf die Tische wie roter Schnee.</p><p class="standard">Der Garten war gro&#0223;; hinten, wo er durch einen Zaun abgeschlossen war, war eine Estrade aufgerichtet worden. Zwei Paare tanzten darauf. Fast an den Zaun geklebt spielte die Musik. Handharfe, Klarinette, Ba&#0223;geige. Als der Wachtmeister den Garten durchschritt, um den alten Ellenberger zu begr&#0252;&#0223;en, nickte er der Musik zu. Die drei nickten zur&#0252;ck, erfreut, schien es. Der Handharfenspieler l&#0228;chelte, nahm einen Augenblick die Hand von den B&#0228;ssen und winkte. Es war Schreier.</p><p class="standard">Der Schreier, den Studer vor drei Jahren bei seiner Wirtin verhaftet hatte ... Der Ba&#0223;geigenspieler schwenkte den Bogen &#8210; auch ein Bekannter, Spezialit&#0228;t Mansardendiebst&#0228;hle, seit zwei Jahren hatte man auf der Polizei nichts mehr von ihm geh&#0246;rt...</p><p class="standard">Studer setzte sich an des alten Ellenbergers Tisch. Begr&#0252;&#0223;ung ... &#8210; Wie geht&#8217;s ... &#8210; Sch&#0246;nes Wetter... Dann fragte der Ellenberger:</p><p class="standard">&#0187;Sind die &#0196;pfel schon reif, Wachtmeister?&#0171; und grinste mit seinem zahnlosen Mund.</p><p class="standard">&#0187;Nein&#0171;, sagte Studer.</p><p class="standard">Das Bier war frisch. Studer nahm einen langen Zug. Die Musik spielte einen Tango.</p><p class="standard">&#0187;Z&#0252;rcher Strandbadleben ...&#0171; sagte der Alte mit der Miene eines Musikkenners. Er schnalzte dabei mit der Zunge. Die Beine hatte er von sich gestreckt. Schwarzseidene Socken und braune Halbschuhe...</p><p class="standard">&#0187;A la v&#0244;tre, commissaire ...&#0171; sagte der alte Ellenberger. Dann erkundigte er sich, ob der Wachtmeister auch franz&#0246;sisch spreche.</p><p class="standard">Studer nickte. Er sah dem Alten ins Gesicht &#8210; dies Gesicht hatte sich merkw&#0252;rdig ver&#0228;ndert. Die Z&#0252;ge waren noch die gleichen, aber der Ausdruck war ein anderer. So, als ob ein Schauspieler, der t&#0228;uschend die Rolle eines alten Bauern gespielt hat, nun seine Verstellung pl&#0246;tzlich aufgeben w&#0252;rde. Aber hinter der Maske kam eben nicht ein Schauspielergesicht zum Vorschein, sondern vor Studer sa&#0223; ein nachdenklicher alter Herr, der das Franz&#0246;sische flie&#0223;end sprach, ohne Akzent, und seine Rede mit zarten Handbewegungen begleitete. Die Haut seiner Hand war mit Tupfen &#0252;bers&#0228;t, die in der Farbe an d&#0252;rres Buchenlaub erinnerten.</p><p class="standard">&#0220;ber seine Vorliebe f&#0252;r entlassene Str&#0228;flinge m&#0252;sse sich der Kommiss&#0228;r nicht wundern, f&#0252;hrte er aus, immer noch in franz&#0246;sischer Sprache. Er habe sein Verm&#0246;gen in den Kolonien verdient und da habe er als Arbeitskr&#0228;fte immer Str&#0228;flinge zugewiesen bekommen. Er sei mit dem Residenten gut befreundet gewesen ... Aber man sei eben dumm. Er habe auf das Alter hin Heimweh bekommen nach der Schweiz und habe sich in diesem Gerzenstein angekauft... Eigentlich, sagte er, sei diese Baumschule, die er er&#0246;ffnet habe, ein Luxus. Zu verdienen brauche er ja nichts mehr, sein Geld sei sicher angelegt, so sicher, als es in einer unsicheren Zeit, wie der jetzigen, m&#0246;glich sei.</p><p class="standard">Studer h&#0246;rte dem Reden des alten Mannes nur unaufmerksam zu. Er war damit besch&#0228;ftigt, den alten Ellenberger, der in seiner Erinnerung lebte, mit dem Manne zu vergleichen, der vor ihm sa&#0223;. Schon am Freitagabend, im Caf&#0233;, am runden Tischchen vor dem Fenster, das auf einen giftig-grauen Abend ging, hatte er dem Baumschulenbesitzer gegen&#0252;ber ein merkw&#0252;rdig unsicheres Gef&#0252;hl gehabt. Es hatte ihm damals geschienen, als sei alles an dem alten Manne falsch. Alles? Nicht ganz. Das Gef&#0252;hl, das Ellenberger f&#0252;r den Schlumpf zu empfinden schien, war echt, sicher...</p><p class="standard">Aber was bezweckte der Ellenberger heute? Warum gab er sich so anders? Studer sch&#0252;ttelte unmerklich den Kopf. Ihm schien es, als sei auch das heutige Gesicht des alten Ellenberger noch nicht das echte. Oder hatte der Mann gar kein wirkliches Gesicht? War er etwas wie ein verfehlter Hochstapler? Man wurde aus ihm nicht klug.</p><p class="standard">Zwei Burschen und ein M&#0228;dchen nahmen in der N&#0228;he Platz. Sonja Witschi gr&#0252;&#0223;te mit einem leichten Nicken. Die beiden Burschen tuschelten miteinander, grinsten, schielten auf Studer, tauschten Bemerkungen aus. Als die Kellnerin das Bier brachte, legte Armin Witschi herausfordernd den Arm um ihre H&#0252;ften. Die Kellnerin blieb eine Weile stehen, sie wurde langsam rot, ihr m&#0252;des Gesicht sah r&#0252;hrend freudig aus ... Aber sie wurde gerufen. Sanft machte sie sich los ... Armin Witschi fuhr mit der flachen Hand &#0252;ber seine Haare, die sich in Dauerwellen &#0252;ber der niederen Stirn aufschichteten. Der kleine Finger war abgespreizt ...</p><p class="standard">&#0187;Un maquereau...&#0171; sagte Studer leise vor sich hin; es klang nicht verurteilend, eher g&#0252;tig-feststellend.</p><p class="standard">&#0187;Mein Gott, ja...&#0171; antwortete der alte Ellenberger und grinste mit seinem zahnlosen Mund. &#0187;Sie sind gar nicht so rar, wie man meinen k&#0246;nnte ...&#0171;</p><p class="standard">Armin sah b&#0246;se zu den beiden. Die Worte hatte er sicher nicht verstanden, aber er hatte wohl gef&#0252;hlt, da&#0223; von ihm die Rede war.</p><p class="standard">Der andere Bursche am Tische Armins war der Coiffeurgehilfe Gerber. Er trug weite graue Flanellhosen, dazu ein blaues Polohemd ohne Krawatte. Seine Arme waren sehr mager...</p><p class="standard">Er stand auf, verbeugte sich vor Sonja. Die beiden stiegen auf den Tanzboden. Schreier, der Handharfenspieler, griff daneben, als er die beiden Tanzenden sah, Studer schaute auf ... Da sah er, da&#0223; die Blicke der drei Musikanten auf ihn gerichtet waren ... Er nickte hin&#0252;ber und wu&#0223;te selbst nicht, warum er so aufmunternd nickte...</p><p class="standard">Die drei trugen einfarbige Kost&#0252;me: senffarbige Leinenhosen, senffarbige Pullover ohne &#0196;rmel, und auch die Hemden waren gelb wie Senf.</p><p class="standard">Der alte Ellenberger schien Studers Gedankengang zu erraten, denn er sagte:</p><p class="standard">&#0187;Ich habe ihnen das Kost&#0252;m geschenkt ... Entworfen hab&#8217; ich&#8217;s auch ... Es hat mich gereizt, die guten B&#0252;rger hier im Dorf ein wenig zu entsetzen ... Mein Gott, wenn man sonst keinen Spa&#0223; hat ...&#0171;</p><p class="standard">Studer nickte. Es war ihm immer weniger ums Reden zu tun. Er hatte seinen Stuhl zur&#0252;ckgeschoben und sa&#0223; nun da, in seiner Lieblingsstellung, die Beine gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln, die H&#0228;nde gefaltet. Vor ihm lag der Garten, durch das dichte Laub brachen da und dort Sonnenstrahlen und malten wei&#0223;e Tupfen auf den grauen Kies. Wenn die Musik schwieg, zitterte &#0252;ber dem Stimmengesumm das Zwitschern unsichtbarer V&#0246;gel in den Baumkronen...</p><p class="standard">Es war ihm nicht recht wohl, dem Wachtmeister Studer... Es war im Anfang zu gut gegangen &#8210; und sonderbarerweise bedr&#0252;ckte ihn am meisten der Traum der vergangenen Nacht. Am Morgen hatte er die Pistole untersucht. Es war ein billiges Modell, er erinnerte sich dunkel, es in Bern in einer Auslage gesehen zu haben ... Zw&#0246;lf oder f&#0252;nfzehn Franken? Vom Landj&#0228;gerposten aus hatte Studer gestern telephoniert, die Nummer angegeben und gebeten, man m&#0246;ge sich bei den Waffenh&#0228;ndlern erkundigen ... Es war fast aussichtslos, sicher, den K&#0228;ufer festzustellen ... Aber vielleicht gelang es zu beweisen, da&#0223; es dem Schlumpf unm&#0246;glich gewesen war, den Browning zu kaufen...</p><p class="standard">Jemand war vor ihm stehen geblieben. Er sah zuerst nur zwei schwarze Hosenbeine, die an den Knien stark ausgebeult waren. Dann wanderte sein Blick langsam aufw&#0228;rts:</p><p class="standard">ein riesiger Bauch, &#0252;ber den sich ein breiter Stoffg&#0252;rtel spannte, ein Umlegkragen und der schwarze Knoten einer Krawatte; endlich, eingebettet in Fettw&#0252;lste, das Gesicht des Gemeindepr&#0228;sidenten Aeschbacher...</p><p class="standard">Und Studer dachte an seinen Traum...</p><p class="standard">Aber Aeschbacher war die Freundlichkeit selbst. Er gr&#0252;&#0223;te h&#0246;flich, fragte, ob es erlaubt sei, Platz zu nehmen, er sch&#0252;ttelte Studer herzlich die Hand und nahm dann keuchend Platz ... Die Kellnerin brachte unaufgefordert ein gro&#0223;es Helles, das Bier verschwand in Aeschbachers Innerem, nur ein wenig Schaum blieb am Boden des Glases kleben...</p><p class="standard">&#0187;Noch eins ...&#0171; sagte der Gemeindepr&#0228;sident und keuchte.</p><p class="standard">Er t&#0228;tschelte den Arm des alten Ellenberger, der Laute von sich gab, &#0228;hnlich denen eines Katers, der nicht wei&#0223;, ob er behaglich schnurren soll oder spuckend auf den St&#0246;renfried losfahren.</p><p class="standard">Aeschbacher rettete die Situation, indem er sich erkundigte, ob man nicht einen &#0187;Zuger&#0171; machen wolle...</p><p class="standard">Die Kellnerin, die das zweite Bier gebracht hatte, flitzte davon, kam mit dem Ja&#0223;deckeli zur&#0252;ck, breitete es aus, legte die gespitzte Kreide auf die sauber geputzte Tafel und verzog sich wieder: drei leere Biergl&#0228;ser nahm sie mit ...</p><p class="standard">&#0187;Drei Rappen der Punkt?&#0171; schlug Aeschbacher vor.</p><p class="standard">Der alte Ellenberger sch&#0252;ttelte den Kopf. Die Maske des weitgereisten Herrn, der ohne Akzent franz&#0246;sisch spricht, hatte der andern Platz gemacht. Es war der alte Bauer, der jetzt wieder am Tische sa&#0223;, und es war auch der alte Bauer, der mit unangenehm kr&#0228;chzender Stimme sagte:</p><p class="standard">&#0187;Drei Rappen sind zu wenig. Unter zehn Rappen spiel&#8217; ich nicht mit ...&#0171;</p><p class="standard">Studer wurde es noch unbehaglicher. Der &#0187;Zuger&#0171; war ein verdammt gef&#0228;hrlicher Ja&#0223;. Wenn man Pech hatte, konnte man ohne viel M&#0252;he f&#0252;nfzehn Franken verlieren... Und f&#0252;nfzehn Franken waren eine Summe! ... Es ging nicht gut an, Spielverluste auf die Spesenrechnung zu setzen. Aber dann interessierte ihn wieder das Verhalten seiner beiden Partner beim Spiel so stark, da&#0223; er schlie&#0223;lich nickte.</p><p class="standard">Aeschbacher zog die Tafel zu sich heran, zeichnete mit der Kreide auf den oberen Holzrand drei Buchstaben: S.E.A. Dann begann er die Karten zu mischen und auszuteilen. Der alte Ellenberger hatte eine Stahlbrille aus der Rocktasche gezogen und sie auf seine Nase gesetzt...</p><p class="standard">Beim ersten Spiel konnte Studer hundertf&#0252;nfzig weisen. Er atmete auf.</p><p class="standard">&#0187;Wachtmeister&#0171;, sagte der Gemeindepr&#0228;sident und kratzte mit dem Fingernagel in seinem Katerschnurrbart, &#0187;Ihr geht, hab&#8217; ich geh&#0246;rt, bald in Pension? ...&#0171;</p><p class="standard">Studer sagte: &#0187;Ja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;So&#0171;, mit einem einzigen Griff breitete Aeschbacher die Karten f&#0228;cherf&#0246;rmig aus, hielt sie vor die Nase und:</p><p class="standard">&#0187;Ich h&#0228;tte f&#0252;r Sie ... Ich h&#0228;tte f&#0252;r Sie eine interessante Besch&#0228;ftigung. Ein Freund von mir&#0171;, fuhr er vertraulich fort, &#0187;hat ein Auskunftsbureau aufgetan und sucht einen t&#0252;chtigen Mann, der Sprachen beherrscht, der etwas Verstand im Kopf hat, der Untersuchungen selbst&#0228;ndig f&#0252;hren k&#0246;nnte. Eintritt so bald wie m&#0246;glich. Da&#0223; man Sie von der Polizeidirektion ohne weiteres gehen l&#0228;&#0223;t, daf&#0252;r will ich schon sorgen. Ich habe meine Beziehungen. Einverstanden? Ich telephoniere dann morgen ...&#8220;</p><p class="standard">&#8210; Studer solle sich von dem Schlangenfanger nicht einlieren lassen, meinte der alte Ellenberger. Der Schlangenfanger verspreche immer den Mond, aber wenn man n&#0228;her hinsehe, sei es nicht einmal ein Weggli.</p><p class="standard">Aeschbacher blickte b&#0246;se auf.</p><p class="standard">&#8210; Ellenberger solle so gut sein und die Klappe halten, es gebe sonst Durchzug, meinte er geh&#0228;ssig. &#8210; Dann solle der Herr Gemeindepr&#0228;sident seine Vorschl&#0228;ge machen, wenn er mit dem Studer unter vier Augen sei. Wenn er sie so &#0246;ffentlich mache, so sei es nur recht und billig, wenn auch er seine Meinung sage.</p><p class="standard">Studer mischte die Karten.</p><p class="standard">Am Tisch nebenan war Armin Witschi aufgestanden, hatte die Kellnerin um die Taille gefa&#0223;t und zog die sich Str&#0228;ubende zum Tanzboden. Auch der Coiffeurgehilfe mit den roten Lippen war aufgestanden, hatte Sonjas Arm genommen. Sonja schien nicht gern mitzugehen...</p><p class="standard">Studer starrte auf die beiden Paare, wie sie auf dem erh&#0246;hten Podium enganeinandergeschmiegt tanzten. Sonja hatte ihre Hand gegen die Schulter des Coiffeurgehilfen gestemmt, um ein wenig Abstand zu halten. Die Musik spielte und Schreier sang den Refrain mit:</p><p class="standard">&#0187;Gr&#0252;ezi, Gr&#0252;ezi, so sagt man in der Schweiz ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Allez! allez!&#0171; sagte Aeschbacher ungeduldig, &#0187;Spiel</p><p class="standard">geben!&#0171; Aber auch er drehte sich um und beobachtete die Tanzenden.</p><p class="standard">&#0187;Ja, ja, die Sonja&#0171;, er nickte. &#0187;Ein gutes Meitschi!&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Der Aeschbacher m&#0252;sse das ja besser wissen als andere, meinte Ellenberger leise, dann lie&#0223; er wieder ein dr&#0246;hnendes Lachen h&#0246;ren, das so gar nicht zu seinem mageren K&#0246;rper pa&#0223;te...</p><p class="standard">In der T&#0252;r, die vom Haus in den Garten f&#0252;hrte, erschien die Wirtin, sah sich suchend um, entdeckte den Tisch der drei und kam auf ihn zu.</p><p class="standard">&#0187;Herr Gemeindepr&#0228;sident&#0171;, sagte sie mit der Stimme des jodelnden Gritli Wenger, &#0187;Ihr werdet am Telephon verlangt.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;So&#0171;, sagte Aeschbacher. Vielleicht erhalte er Nachricht von seinem verschwundenen Auto.</p><p class="standard">Studer wurde aufmerksam.</p><p class="standard">&#8210; Wann denn das Auto fortgekommen sei? erkundigte er sich. &#8210; Gestern abend, war die Antwort. Er habe es hier vor dem &#0187;B&#0228;ren&#0171; stehen lassen, aber wie er dann um Mitternacht habe heimwollen, sei es fortgewesen. Er habe vergessen, es abzuschlie&#0223;en.</p><p class="standard">Studer fluchte innerlich. Nicht einmal auf den Murmann war Verla&#0223;. Warum hatte der Landj&#0228;ger ihm das nicht erz&#0228;hlt?</p><p class="standard">&#8210; Er komme gleich wieder zur&#0252;ck, sagte Aeschbacher und ging mit der Wirtin. Seinen dicken Bauch trug er vor sich her wie ein Hausierer das Brett, auf dem er seine Waren ausgelegt hat.</p><p class="standard">Der alte Ellenberger war pl&#0246;tzlich wieder der sehr vornehme Freund des Residenten, er redete sein gepflegtes Franz&#0246;sisch und gab Studer zu verstehen, er m&#0252;sse sich vor dem Gemeindepr&#0228;sidenten in acht nehmen.</p><p class="standard">Studer erwiderte, er habe gemeint, der Aeschbacher sei d&#0252;mmer als ein zweit&#0228;giges Kalb?</p><p class="standard">Das sei nur eine Redensart gewesen, meinte Ellenberger und lie&#0223; die Karten in einer Kaskade auf den Tisch spr&#0252;hen. Er sei nicht dumm, der Aeschbacher, oh nein ... Es w&#0252;rde ihn, Ellenberger, gar nicht wundern, wenn auch der Diebstahl des Autos nichts weiter sei als ein Trick. Da kam aber der Gemeindepr&#0228;sident schon zur&#0252;ck. Ein unangenehm h&#0246;hnisches L&#0228;cheln zog seinen Katerschnurrbart schief.</p><p class="standard">&#0187;In Thun haben sie den Mann erwischt&#0171;, sagte er. &#0187;Ich mu&#0223; es holen gehen. Aber Ihr sollt ans Telephon kommen, Wachtmeister, der Untersuchungsrichter will mit Euch reden...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Heut? Am Sonntag?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja ... Dann k&#0246;nnt Ihr heut abend nach Bern zur&#0252;ckfahren. Der Fall ist erledigt ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;H&#0228;?&#0171; sagte der alte Ellenberger.</p><p class="standard">Aber Aeschbacher dr&#0252;ckte seinen breitrandigen Filzhut auf den Kopf, gr&#0252;&#0223;te: &#0187;Lebet wohl!&#0171; und verlie&#0223; den Garten.</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter war wirklich am Telephon. Seine ersten Worte waren:</p><p class="standard">&#0187;Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Gestanden?&#0171; br&#0252;llte Studer ins Telephon. Er begann richtig wild zu werden. Es kam auch wirklich zu viel zusammen: Der Traum der vorigen Nacht, der Revolver, die leeren H&#0252;lsen in der Vase auf dem Klavier, das Angebot des Gemeindepr&#0228;sidenten, die Spannung zwischen Ellenberger und Aeschbacher, Sonja Witschi, besonders die Sonja, die mit dem Coiffeurlehrling tanzte &#8210; und dann, vor allem, die Antwort des Landj&#0228;gers Murmann auf die Frage, ob er den Schlumpf f&#0252;r schuldig halte: &#0187;Chabis&#0171;, hatte der Murmann gesagt ... und nun fl&#0246;tete der Untersuchungsrichter ins Telephon:</p><p class="standard">&#0187;Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wann?&#0171; fragte Studer b&#0246;se zur&#0252;ck.</p><p class="standard">&#0187;Heute nach dem Mittagessen, um halb eins, wenn Sie die genaue Zeit interessiert ...&#0171; Auch noch Ironie! Das war zuviel f&#0252;r den Wachtmeister Studer!</p><p class="standard">&#0187;Gut&#0171;, er sprach ganz leise. &#0187;Ich werde morgen fr&#0252;h nach Thun kommen, Herr Untersuchungsrichter.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Halten Sie das f&#0252;r opportun?&#0171; fragte die Stimme.</p><p class="standard">Das Wort &#0187;opportun&#0171; schlug dem Fa&#0223; den Boden aus. Konnte der Mann nicht deutsch sprechen? Konnte er nicht sagen, wenigstens, ob man es f&#0252;r &#0187;gegeben erachte&#0171;? Nein, ausgerechnet &#0187;opportun&#0171;!</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, kr&#0228;chzte Studer, &#0187;sogar f&#0252;r notwendig!&#0171;</p><p class="standard">R&#0228;uspern am andern Ende des Drahtes.</p><p class="standard">&#0187;Ich meinte nur&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter vers&#0246;hnlich. &#0187;N&#0228;mlich, ich habe auch mit dem Herrn Staatsanwalt gesprochen und der meinte auch, eine weitere Untersuchung des Falles er&#0252;brige sich. Wir wollten Ihre Abberufung veranlassen ...&#0171;</p><p class="standard">Weiter kam der Untersuchungsrichter nicht.</p><p class="standard">&#0187;Bitte&#0171;, Studer sprach sein sch&#0246;nstes Hochdeutsch. &#0187;Das k&#0246;nnen Sie ruhig tun. Ich w&#0252;rde Ihnen aber dennoch raten, sich in der Fachliteratur &#0252;ber Gest&#0228;ndnisse zu orientieren. Es gibt n&#0228;mlich diverse Gest&#0228;ndnisse ... &#0220;brigens k&#0246;nnen Sie mich abberufen lassen, wenn es Ihnen Freude macht. Ich habe n&#0228;mlich daran gedacht, Ferien zu nehmen. Und Gerzenstein gef&#0228;llt mir ausnehmend. Die Luft ist so gesund ... Vielleicht la&#0223; ich meine Frau nachkommen. Wann haben Sie den Autodieb erwischt?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;H&#0228;mh&#0228;m&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter. &#0187;Den Autodieb? Heut morgen hat ihn ein Polizist angehalten. Ein Vorbestrafter...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Hat er mit Schlumpf gesprochen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja ... doch ... ich glaube. Wir haben ihn in die gleiche Zelle gelegt ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Was Sie nicht sagen! Also auf Wiedersehen, Herr Untersuchungsrichter! Auf morgen! Ich bringe vielleicht noch einen wichtigen Zeugen mit...&#0171; Und Studer h&#0228;ngte den H&#0246;rer in die Gabel.</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Es tanzte niemand mehr. Die Tische waren alle besetzt. Die Kellnerin lief mit Tellern herum, auf denen schlanke Emmentaler-, feiste, fettropfende K&#0252;mmelw&#0252;rste oder mattschimmernde Cervelats lagen. Vielbegehrt waren die Gl&#0228;ser mit dem hellgelben Senf. Wein erschien auf den Tischen, Flaschenwein. Armin Witschi hatte eine Flasche Neuenburger bestellt. Sonja nippte nur an ihrem Glas. Sie sah versch&#0252;chtert und &#0228;ngstlich aus.</p><p class="standard">Die drei Mann des &#0187;Convict Band&#0171; in ihren scharfgelben Uniformen &#8210; und aus den kurzen &#0196;rmeln kamen die Arme hervor, sehnig und braun &#8210; auch die Gesichter waren braun gegerbt &#8210; sa&#0223;en um einen Tisch, den man ganz nahe an des alten Ellenbergers Tisch ger&#0252;ckt hatte. Aber Ellenberger thronte allein und steif auf seinem Platz &#8210; vor den Burschen standen zwei Flaschen Wein und eine gro&#0223;e Platte Schinken.</p><p class="standard">Studer schritt durch die Reihen der Vespernden, fl&#0252;chtig bemerkte er, da&#0223; Armin Witschi ein h&#0246;hnisches L&#0228;cheln aufgesetzt hatte &#8210; Sonja hatte die Wange gegen ihren Handr&#0252;cken gelegt und starte ins Leere, ihr Glas war noch voll, unber&#0252;hrt lag die saftschwitzende K&#0252;mmiwurst auf ihrem Teller.</p><p class="standard">Und der Wachtmeister nahm wieder neben dem alten Ellenberger Platz. &#0187;The Convict Band&#0171; trank einm&#0252;tig dem Wachtmeister zu. Ein leeres Glas stand pl&#0246;tzlich vor ihm &#8210; da erhob sich der Schreier, hielt die Flasche in der Hand und f&#0252;llte das Glas...</p><p class="standard">&#0187;In f&#0252;nf Minuten vor der Post, Wachtmeister&#0171;, fl&#0252;sterte der Bursche. &#0187;Ich mu&#0223; Euch etwas zeigen ...&#0171;</p><p class="standard">Studer schielte auf Ellenberger, der nichts geh&#0246;rt zu haben schien, nickte Schreier unmerklich zu &#8210; was hatte das wieder zu bedeuten? Was wu&#0223;te der Bursche? &#8210; stie&#0223; mit den dreien an, dem Buchegger, einem hagern Menschen mit einem unregelm&#0228;&#0223;igen Gesicht und schaufelf&#0246;rmigen Z&#0228;hnen, dem Bertel, dessen Familienname er vergessen hatte, aber an den er sich dunkel erinnerte &#8210; hatte er den Burschen auch einmal geschnappt? Jetzt spielte er Ba&#0223;geige und hatte sich rangiert, scheinbar...</p><p class="standard">Laut sagte der Wachtmeister:</p><p class="standard">&#0187;Ich trinke auf das Wohl der Musik!&#0171; und leerte sein Glas. Ein dummes Sprichwort fiel ihm ein: &#0187;Wein auf Bier, das rat ich dir, Bier auf Wein, das lasse sein ...&#8220; Er wurde die Worte nicht los, sagte sie laut, pflichtschuldigst lachten die drei, aber als das Lachen verklungen war, verk&#0252;ndigte Studer leise:</p><p class="standard">&#0187;Der Schlumpf hat gestanden!&#0171;</p><p class="standard">Es war merkw&#0252;rdig, die Reaktion der vier am Tisch zu beobachten. Der alte Ellenberger r&#0228;usperte sich und sagte ebenso leise:</p><p class="standard">&#0187;Vous n&#8217;y comprendrez jamais rien, commissaire ...&#0171; (er werde nie etwas von der Sache verstehen ...)</p><p class="standard">Der Bertel fuhr auf &#8210; er sah aus wie ein schlaues &#0196;ffchen &#8210; und schmetterte einen Fluch hervor, in dem viel vom Heiland und von Millionen Sternen die Rede war.</p><p class="standard">Buchegger, der magere B&#0228;r, sagte nur ein Wort:</p><p class="standard">&#0187;Idiot!&#0171;</p><p class="standard">Schreier aber fuhr sich durch das lange schwarze Haar, wandte das Gesicht ein wenig zur Seite, so da&#0223; die drei, die am andern Tisch, in etwa zwei Meter Entfernung, sa&#0223;en, es deutlich verstehen mu&#0223;ten:</p><p class="standard">&#0187;So, so, hat der Schlumpfli gestanden!&#0171; und deutete dem Wachtmeister mit einem leisen Ruck des Kopfes an, er m&#0246;ge die Sonja, ihren Bruder und den Coiffeurlehrling beobachten.</p><p class="standard">Und wirklich war die Wirkung auf <i class="quote">diesen </i>Tisch noch merkw&#0252;rdiger.</p><p class="standard">Sonja fuhr zusammen, ihre Hand ballte sich zur Faust, sie setzte sich gerade und starrte ihren Bruder ha&#0223;erf&#0252;llt an. Sie fragte ihn leise etwas. Armin zuckte mit den Schultern. Der Coiffeurgehilfe Gerber war bla&#0223; geworden, seine ohnehin k&#0228;sige Gesichtsfarbe wurde gr&#0252;nlich, er t&#0228;tschelte beruhigend Sonjas Arm, so, als wolle er andeuten, das Meitschi m&#0246;ge sich nicht aufregen, wenn der Schlumpf verloren sei, so sei <i class="quote">er </i>immerhin noch da... Dann wurde Sonjas Ausdruck &#0228;ngstlich, sie wollte aufstehen, ihr Bruder und Gerber zogen sie auf den Stuhl zur&#0252;ck, dr&#0252;ckten ihr das Glas in die Hand. Sonja trank. Sie zog ihr Schnupftuch aus der Handtasche, wischte sich die Augen, blickte in Studers Richtung &#8210; ihre Blicke begegneten sich, Studer hob leicht die Hand in einer beschwichtigenden Geb&#0228;rde &#8210; da l&#0228;chelte Sonja pl&#0246;tzlich voll Vertrauen, und Studer wu&#0223;te, da&#0223; er auf die Hilfe des M&#0228;dchens irgend einmal w&#0252;rde z&#0228;hlen k&#0246;nnen.</p><p class="standard">&#0187;Ich werd&#8217; wahrscheinlich den Schlumpf fallen lassen ...&#0171;, sagte Studer laut, stand auf, gr&#0252;&#0223;te in der Runde und verlie&#0223; mit gro&#0223;en Schritten den Garten.</p><p class="standard">Nach f&#0252;nf Minuten holte ihn Schreier ein. Er hatte seine Uniform abgelegt und trug einen einfachen Anzug.</p></div></div></div></body>
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