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    <title>pt04.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt04"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000006">Billard und Alkoholismus chronicus</h1><div class="section"><p class="TkOhne">Studer stie&#0223; zu. Die wei&#0223;e Kugel rollte &#0252;ber das gr&#0252;ne Tuch, klickte an die rote, traf die Bande und sauste haarscharf an der zweiten wei&#0223;en Kugel vorbei.</p><p class="standard">Studer stellte die Queue auf den Boden, blinzelte und sagte &#0228;rgerlich:</p><p class="standard">&#0187;Bitzli z&#8217;wenig Effet.&#0171;</p><p class="standard">Und gerade in diesem Augenblicke h&#0246;rte er zum ersten Male die dr&#0246;hnende Stimme, die er noch oft h&#0246;ren sollte. Die Stimme sagte:</p><p class="standard">&#0187;Und glaub mir, in der Aff&#0228;re Witschi ist auch nicht alles Bock; glaub mir nur, da stimmt etwas nicht ... und das wei&#0223;t du ja auch. Da&#0223; sie den Schlumpf geschnappt haben ...&#0171; Mehr konnte Studer nicht verstehen. Die Stille, die einen Augenblick &#0252;ber dem Raum geschwebt hatte, zersprang, der L&#0228;rm der Gespr&#0228;che setzte wieder ein. Studer drehte sich um und sah sich an dem Mann mit der merkw&#0252;rdig dr&#0246;hnenden Stimme fest.</p><p class="standard">Der war hochgewachsen, mit einem mageren, zerfurchten Gesicht. Er sa&#0223; in einer Ecke des Caf&#0233;s an einem Tischchen zusammen mit einem kleinen Dicken. Der Dicke nickte, nickte ununterbrochen, w&#0228;hrend der magere Alte den Ellbogen aufgest&#0252;tzt hatte und mit aufgerecktem Zeigefinger weitersprach. Die Lippen waren fast unsichtbar &#8210; dem Mann mu&#0223;ten alle Z&#0228;hne fehlen. Jetzt senkte der Alte die Hand, hob das Glas zerstreut zum Mund, merkte pl&#0246;tzlich, da&#0223; es leer war: da zerbrach ein sehr sanftes L&#0228;cheln den harten Mund, so, wie einer l&#0228;chelt, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt.</p><p class="standard">&#0187;R&#0246;si&#0171;, sagte er zur Kellnerin, die gerade vorbeikam, &#0187;R&#0246;si, noch zwei Becher.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, Herr Ellenberger.&#0171; Die rothaarige Kellnerin lie&#0223; sich die Hand t&#0228;tscheln. Sie sah aus wie eine Katze, die gerne schnurren m&#0246;chte, aber auf der Suche nach einem ruhigen Platz ist, wo sie dies ungest&#0246;rt tun kann.</p><p class="standard">&#0187;<i class="quote">Du </i>kommst...&#0171;, sagte Studers Spielpartner, der Notar M&#0252;nch, der einen hohen steifen Kragen um seinen dicken Hals trug. Und w&#0228;hrend Studer mit verkniffenen Augen die Stellung der Kugeln pr&#0252;fte, dachte er immerfort: Ellenberger? Ellenberger? Und redet von der Aff&#0228;re Witschi? Und w&#0228;hrend er weiter dachte, ob es wohl dieser Ellenberger sei, Baumschulenbesitzer in Gerzenstein, Meister des Schlumpf, verfehlte er nat&#0252;rlich seinen Sto&#0223;. Er hatte nicht richtig eingekreidet, die Spitze der Queue sprang mit einem unangenehm hohen Gix von der Kugel ab.</p><p class="standard">Das Billardtuch, mit der sehr hellen, nach unten abgeblendeten Lampe dar&#0252;ber, warf einen gr&#0252;nen Schein in die Luft und gab dem Rauch, der leise durch die Luft wogte, eine kuriose Farbe. Ein Lachen, das wie ein Kr&#0228;chzen klang, kam vom Tisch des alten Ellenberger, aber nicht der Alte hatte gelacht, sondern sein Begleiter, der kleine Dicke. Und in die Stille, die dem Lachen folgte, h&#0246;rte Studer den alten Ellenberger sagen:</p><p class="standard">&#0187;Ja, der Witschi, der war nicht dumm. Aber der Aeschbacher. Ein zweit&#0228;giges Kalb ist minder...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Was ist los, Studer?&#0171; fragte der Notar M&#0252;nch. Keine Antwort.</p><p class="standard">Die Aff&#0228;re Witschi schien wirklich verhext zu sein.</p><p class="standard">Jetzt hatte Studer gemeint, sie diesen Abend wenigstens vergessen zu k&#0246;nnen.</p><p class="standard">Aber nat&#0252;rlich: da kam man ins Caf&#0233; zum Billardspielen und ausgerechnet mu&#0223;te dieser Ellenberger auch hier hocken und laut &#0252;ber die Aff&#0228;re Witschi reden. Dann war es nat&#0252;rlich mit der Ruhe vorbei...</p><p class="standard">Der R&#0252;cken des Ermordeten auf der Photographie... Der R&#0252;cken, auf dem <i class="quote">keine </i>Tannennadeln hafteten ... Die Wunde im Hinterkopf ... Die kuriosen Vornamen der Familienmitglieder... Wendelin hie&#0223; der Vater, die Tochter Sonja, der Sohn Armin. Vielleicht hie&#0223; die Mutter Anastasia? ... Warum nicht?</p><p class="standard">Witschi ... der Name klang wie Spatzengetschilp. Der Wendelin Witschi, der auf einem Zehnder den Commisvoyageur machte und in einem Wald erschossen aufgefunden wurde ... Die Frau Witschi, die im Bahnhofkiosk hockte und Romane las ...</p><p class="standard">Und w&#0228;hrend Studer auf seine Billardqueue gest&#0252;tzt, dem Spiele des Notars zusah, der heute abend in Form zu sein schien, h&#0246;rte er wieder die angenehm dr&#0246;hnende Stimme sagen:</p><p class="standard">&#0187;Was macht wohl unser Schlumpf? Was meinst, Cottereau? Haben sie ihn wohl geschnappt, die Tschucker?&#0171;</p><p class="standard">Das Wort &#0187;Tschucker&#0171; gab Studer einen Ruck. Er war abgebr&#0252;ht gegen den Spott, dem man als Fahnder ausgesetzt war. Einzig dieses verfluchte Wort mit dem unangenehmen &#0187;U&#0171; machte ihn wild. Es klinge so vollgefressen, hatte er einmal zu seiner Frau ge&#0228;u&#0223;ert. Und als er es jetzt aus des alten Ellenbergers Munde h&#0246;rte, ri&#0223; es ihn herum, und er starrte auf den Mann.</p><p class="standard">Er begegnete dem Blick eines Augenpaares, und dieser Blick war ungem&#0252;tlich. Studer hielt ihn nicht lange aus. Merkw&#0252;rdige Augen hatte der Ellenberger: kalt wirkten sie, die Pupillen waren fast schlitzf&#0246;rmig, wie bei einer Katze. Und die Iris blaugr&#0252;n, sehr hell.</p><p class="standard">&#0187;Revanche?&#0171; fragte der Notar M&#0252;nch. Er hatte stillschweigend eine Serie gemacht und war jetzt fertig.</p><p class="standard">Studer sch&#0252;ttelte den Kopf.</p><p class="standard">&#0187;Kennst du den dort dr&#0252;ben?&#0171; fragte er und deutete mit dem Daumen &#0252;ber die Schulter. Der Notar M&#0252;nch schraubte seinen Kopf aus dem hohen Kragen. &#0187;Den Alten dort? Den, der mit dem Dicken zusammenhockt? Denk wohl! ... Das ist der Ellenberger. Er war heut&#8217; bei mir. Wegen einem gewissen Witschi ... Eh, du hast doch von den Leuten geh&#0246;rt. Der Witschi, der vor ein paar Tagen umgebracht worden ist. Der war dem Ellenberger Geld schuldig ... Den Witschi hab&#8217; ich auch einmal gesehen ...&#0171;</p><p class="standard">Der Notar M&#0252;nch schwieg und machte mit seiner rechten Hand, die wie eine Flosse aussah, beschwichtigende Bewegungen. Und als Studer sich umwandte, gewahrte er den alten Ellenberger, der dem Notar winkte, n&#0228;herzukommen.</p><p class="standard">M&#0252;nch ging quer durch den Raum. Dr&#0252;ben, am runden Tischchen, sch&#0252;ttelte er dem alten Ellenberger die Hand und winkte dann Studer n&#0228;herzukommen. Der Wachtmeister wurde vorgestellt, es erwies sich, da&#0223; Ellenberger und Studer sich vom H&#0246;rensagen kannten. &#0220;brigens war Ellenbergers Hand mit Tupfen &#0252;bers&#0228;t, die in der Farbe an d&#0252;rres Buchenlaub erinnerten.</p><p class="standard">&#0187;Hat es Euch beleidigt, Wachtmeister Studer, da&#0223; ich vorhin &#8250;Tschucker&#8249; gesagt habe? Ich hab gesehen, wie Ihr gezuckt habt wie ein junges Ro&#0223;, wenn es die Gei&#0223;el klepfen h&#0246;rt.&#0171;</p><p class="standard">Das sei so &#0228;hnlich, meinte Studer, wie bei den G&#0228;rtnern, die h&#0228;tten es auch nicht gern, wenn man sie &#0187;Krauterer&#0171; nenne. Oder nicht?</p><p class="standard">Der Ellenberger lachte ein tiefes Ba&#0223;lachen, zwinkerte mit den faltigen Lidern, saugte die Lippen zwischen die Bitgeren und schwieg. Sein Gesicht blieb eine lange Weile starr; es wirkte uralt und grotesk.</p><p class="standard">Sie sa&#0223;en um den kleinen Tisch und hatten nicht richtig Platz. Neben ihnen stand ein Fenster offen, es war schw&#0252;l, ein hei&#0223;er Wind strich drau&#0223;en vorbei, und der Himmel war mit einer giftig-grauen Salbe verschmiert.</p><p class="standard">Die Kellnerin hatte unaufgefordert vier hohe Gl&#0228;ser mit Bier auf den Tisch gestellt.</p><p class="standard">&#0187;G&#8217;sundheit&#0171;, sagte Studer, hob das Glas, kippte es in den Mund, setzte es ab. Wei&#0223;er Schaum blieb an seinem Schnurrbart kleben. &#0187;Aaah ...&#0171;</p><p class="standard">Mit Daumen und Zeigefinger lie&#0223; der Ellenberger sein Glas langsame T&#0228;nze auf der Kartonunterlage ausf&#0252;hren. Dann fragte er pl&#0246;tzlich:</p><p class="standard">&#0187;Wi&#0223;t Ihr etwas vom Schlumpf?&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Er habe ihn heut morgen verhaftet ... sagte Studer leise. &#8210; Wo? &#8210; Bei der Mutter.</p><p class="standard">Schweigen. Der alte Ellenberger sch&#0252;ttelte den Kopf, so, als sei ihm irgend etwas nicht klar.</p><p class="standard">&#8210; Die Tschu ... die Fahnder h&#0228;tten nicht immer eine sch&#0246;ne B&#0252;etz, meinte er dann trocken. Den Sohn von der Mutter wegholen ... Er, f&#0252;r sein Teil, tue lieber Rosen okulieren oder allenfalls im Winter rigolen.</p><p class="standard">Der Notar M&#0252;nch trommelte verlegen auf der Marmorplatte und schraubte an seinem Hals. Der kleine Dicke, der Cottereau hie&#0223; und also jener Oberg&#0228;rtner war, der die Leiche gefunden hatte, schneuzte sich in ein gro&#0223;es rotes Taschentuch.</p><p class="standard">Studer lie&#0223; das Schweigen &#0252;ber dem Tisch liegen und blickte am alten Ellenberger vorbei durchs Fenster.</p><p class="standard">&#0187;Und? Wie gehts dem Schlumpf?&#0171; fragte der Alte b&#0246;se.</p><p class="standard">&#0187;Oh&#0171;, sagte Studer ruhig, &#0187;er hat sich aufgeh&#0228;ngt.&#0171;</p><p class="standard">Der Notar schmatzte h&#0246;rbar, er blickte seinen Freund Studer verbl&#0252;fft an, aber der Ellenberger sprang vom Stuhl auf, st&#0252;tzte die F&#0228;uste auf den Tisch und fragte laut:</p><p class="standard">&#0187;Was sagst du? Was sagst du?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, wiederholte Studer friedlich, &#0187;er hat sich aufgeh&#0228;ngt. Ihr scheint Euch sehr f&#0252;r den Burschen zu interessieren?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ah bah!&#0171; wehrte der Ellenberger ab. &#0187;Ich hab ihn nicht ungern gesehen. Er hat sich gut gehalten bei mir... Und jetzt ist er tot ... So, so ... Der Zweite, den die alte Hex&#8217; auf dem Gewissen hat, sie und ihr... und ihr...&#0171; Der Ellenberger unterbrach sich. &#0187;Also tot ist er?&#0171; fragte er noch einmal.</p><p class="standard">&#8210; Das habe er nicht gesagt, meinte Studer und betrachtete kritisch seine Brissago. Er sei noch zur rechten Zeit gekommen, um den Schlumpf &#8210; man k&#0246;nne ja sagen: zu retten, obwohl...</p><p class="standard">&#0187;Also ist er nicht tot? Und wo ist er jetzt, der Schlumpf?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;In Thun&#0171;, sagte Studer gem&#0252;tlich und versteckte seine Augen unter seinen Lidern. &#0187;In Thun, in der Kischte.&#0171; Er, Studer, habe auch mit dem Untersuchungsrichter geredet, ein g&#0228;biger Mann, der Fall sei nicht hoffnungslos, aber dunkel, dunkel ... Das sei das Elend.</p><p class="standard">&#0187;Und das Gericht will klare F&#0228;lle, das gibt sch&#0246;ne Verhandlungen ... Aber der Schlumpf leugnet alles ab, der Fall kommt vor die Assisen, nat&#0252;rlich ... Und man wei&#0223; ja, wie Geschworene sind ...&#0171; Das alles unterbrochen von langen Z&#0252;gen, abwechselnd am Bierglas und an der Brissago.</p><p class="standard">&#0187;Aber&#0171;, fuhr Studer fort, &#0187;Ihr habt da einen Satz nicht beendigt. Wen habt Ihr gemeint mit der Hexe? Die Frau Witschi?&#0171;</p><p class="standard">Ellenberger wich der Frage aus.</p><p class="standard">&#0187;Wenn Ihr etwas wissen wollt, Wachtmeister, m&#0252;&#0223;t Ihr nach Gerzenstein kommen, Euch das Kaff anschauen. Es lohnt sich...&#0171; Dann seufzend: &#0187;Ja, der Witschi hat&#8217;s nicht gut gehabt. Hat mir oft geklagt, der alte Schnapser... Aber viele saufen ... Heiratet nie, Wachtmeister.&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Er sei schon verheiratet, sagte Studer, und k&#0246;nne nicht klagen. &#8210; So, geschnapst habe der Witschi? &#8210; Ja, meinte der Ellenberger, so arg, da&#0223; der Aeschbacher, der Gemeindepr&#0228;sident &#8210; der Mann schaue aus wie eine Sau, die den Rotlauf habe &#8210; den Witschi habe nach Hansen versenken wollen ... (Hansen nennt man im Kanton Bern die Arbeitsanstalt St. Johannsen).</p><p class="standard">Nach einer Weile fragte der Ellenberger:</p><p class="standard">&#0187;Hat er von mir gesprochen, der Erwin?&#0171;</p><p class="standard">Studer bejahte. Der Schlumpf habe seinen Meister ger&#0252;hmt. Seit wann denn der Ellenberger der F&#0252;rsorge f&#0252;r entlassene Str&#0228;flinge beigetreten sei?</p><p class="standard">&#0187;F&#0252;rsorge?&#0171; Die F&#0252;rsorge k&#0246;nne ihm gestohlen werden. Er brauche billige Arbeitskr&#0228;fte, voil&#0224; tout. Und da&#0223; er die Burschen anst&#0228;ndig behandle, das geh&#0246;re zum Gesch&#0228;ft, sonst w&#0252;rden sie ihm wieder drauslaufen. Er, der Ellenberger, sei zuviel in der Welt herumgekommen, die braven Leute br&#0228;chten ihn zum Kotzen, aber die schwarzen Schafe, wie man so sch&#0246;n sage, die sorgten f&#0252;r Abwechslung. Von einem Tag auf den andern k&#0246;nne man in der sch&#0246;nsten Kriminalgeschichte drinnen stecken, an einem Mordfall beteiligt sein, par exemple, und dann werde es spa&#0223;ig.</p><p class="standard">Der alte Ellenberger stand auf:</p><p class="standard">&#0187;Ich mu&#0223; heim, Wachtmeister, komm, Cottereau ... Ich denk, wir werden uns noch einmal sehen ... Besuchet mich dann, wenn Ihr nach Gerzenstein kommt ... L&#0228;bet wohl...&#0171;</p><p class="standard">Der alte Ellenberger winkte der Kellnerin, sagte: &#0187;Alles&#0171;, gab ein z&#0252;nftiges Trinkgeld. Dann schritt er zur T&#0252;r. Das letzte, das Wachtmeister Studer an dem Alten feststellte, war sicher merkw&#0252;rdig genug: Der Ellenberger trug zu einem schlechtsitzenden Anzug aus Halbleinen ein Paar braune, moderne Halbschuhe. Die schwarzen Socken, die unter den zu kurzen Hosen hervorlugten, waren aus schwarzer Seide...</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">Am n&#0228;chsten Morgen schrieb Wachtmeister Studer seinen Rapport. Das Bureau roch nach Staub, Boden&#0246;l und kaltem Zigarrenrauch. Die Fenster waren geschlossen. Drau&#0223;en regnete es, die paar warmen Tage waren eine T&#0228;uschung gewesen, ein saurer Wind blies durch die Stra&#0223;en und Studer war schlechter Laune. Wie sollte man diesen Rapport schreiben? Vielmehr, was schreiben, was auslassen?</p><p class="standard">Da rief eine Stimme von der T&#0252;re her seinen Namen.</p><p class="standard">&#0187;Wo isch los?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Der Untersuchungsrichter von Thun hat telephoniert. Du sollst nach Gerzenstein fahren ... Du hast doch gestern den Schlumpf verhaftet! Wie ist&#8217;s gegangen?&#0171;</p><p class="standard">&#8210; Der Schlumpf habe ihm durchbrennen wollen auf dem Bahnhof, sagte Studer, aber es habe nicht gelangt. Dabei blieb er sitzen und schaute von unten her auf den Polizeihauptmann.</p><p class="standard">&#0187;Eh&#0171;, sagte der Hauptmann, &#0187;dann la&#0223; den Rapport sein. Kannst ihn sp&#0228;ter schreiben. Fahr jetzt ab. Am besten w&#0228;r&#8217;s, du w&#0252;rdest noch ins Gerichtsmedizinische gehen. Vielleicht erf&#0228;hrst du etwas.&#0171;</p><p class="standard">Das habe er sowieso machen wollen, sagte Studer brummig, stand auf, nahm seinen Regenmantel, trat vor einen kleinen Spiegel und b&#0252;rstete seinen Schnurrbart. Dann fuhr er zum Inselspital.</p><p class="standard">Der Assistent, der ihn empfing, trug eine wunderbar rot und schwarz gew&#0252;rfelte Krawatte, die unter dem steifen Umlegkragen zu einem winzigen Kn&#0246;tchen zusammengezogen war. Wenn er sprach, legte er die Finger der einen Hand flach auf den Ballen der anderen und musterte mit kritischer, leicht angeekelter Miene seine Fingern&#0228;gel.</p><p class="standard">&#0187;Witschi?&#0171; fragte der Assistent. &#0187;Wann ist er gekommen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Mittwoch, Mittwochabend, Herr Doktor&#0171;, antwortete Studer und gebrauchte sein sch&#0246;nstes Schriftdeutsch.</p><p class="standard">&#0187;Mittwoch? Warten Sie, Mittwoch sagen Sie? Ach, ich wei&#0223; jetzt, die Alkoholleiche ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Alkoholleiche?&#0171; fragte Studer.</p><p class="standard">&#0187;Ja, denken Sie, 2,1 pro Mille Alkoholkonzentration im Blut. Der Mann mu&#0223; gesoffen haben, bevor er erschossen wurde ... Na, ich sage Ihnen, Herr Kommiss&#0228;r..&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wachtmeister&#0171;, stellte Studer trocken fest.</p><p class="standard">&#0187;Wir sagen bei uns Kommiss&#0228;r, es klingt besser. Verstehen Sie, bitte, nicht nur die Alkoholkonzentration, aber der Zustand der Organe, ich sage Ihnen, Herr Kommiss&#0228;r, so eine sch&#0246;ne Lebercirrhose habe ich noch nie gesehen. Fabelhaft, sage ich Ihnen. War der Mann nie in einer Irrenanstalt? Nicht? Nie wei&#0223;e M&#0228;use gesehen oder Kinematograph an der Wand? Kleine M&#0228;nner, die tanzen, wissen Sie? So einen sch&#0246;nen, richtiggehenden Delirium tremens? Nie gehabt? Ah, Sie wissen nicht. Schade. Und ist erschossen worden! Sch&#0228;tzungsweise eine Meter Distanz, keine Pulverspuren auf der Haut, darum ich sage eine Meter. Sie verstehen?&#0171;</p><p class="standard">Studer gr&#0252;belte w&#0228;hrend des Wortschwalles &#0252;ber eine ganz nebens&#0228;chliche Frage nach: welcher Nationalit&#0228;t der junge Mann mit dem kleinen Krawattenkn&#0246;tchen angeh&#0246;ren k&#0246;nne... Endlich, auf das letzte: &#0187;Sie verstehen?&#0171; war er im Bilde.</p><p class="standard">&#0187;Parla italiano?&#0171; fragte er freundlich.</p><p class="standard">&#0187;Ma sicuro!&#0171; Der Freudenausbruch des andern war nicht mehr zu bremsen und Studer lie&#0223; ihn l&#0228;chelnd vorbeirauschen.</p><p class="standard">Der Assistent war so begeistert, da&#0223; er Studers Arm z&#0228;rtlich unter den seinen nahm und ihn in das Innere f&#0252;hrte. Der Professor sei noch nicht da, aber er, der Assistent, sei genau so auf dem laufenden wie der Professor. Er habe selbst die Sektion gemacht. Studer fragte, ob er Witschi noch sehen k&#0246;nne. Das war m&#0246;glich. Witschi war konserviert worden. Und bald stand Studer vor der Leiche.</p><p class="standard">Dies also war der Witschi Wendelin, geboren 1882, somit f&#0252;nfzig Jahre alt: eine riesige Glatze, gelb wie altes Elfenbein; ein armseliger Schnurrbart, h&#0228;ngend, sp&#0228;rlich; ein weiches, schwammiges Doppelkinn ... Am merkw&#0252;rdigsten aber wirkte der ruhige Ausdruck des Gesichtes.</p><p class="standard">Ruhig, ja. Jetzt, im Tode. Aber es waren doch viel Runzeln in dem Gesicht ... Gut, da&#0223; der Mann Witschi seine Sorgen los war...</p><p class="standard">Auf alle F&#0228;lle war es aber kein S&#0228;ufergesicht und darum sagte Studer auch:</p><p class="standard">&#0187;Er sieht eigentlich nicht aus wie ein Wald- und Wiesenalkoholiker...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wald- und Wiesenalkoholiker! Wunderbarer Ausdruck!&#0171;</p><p class="standard">Die beiden begannen zu fachsimpeln. Zwischen ihnen lag noch immer der K&#0246;rper des toten Witschi. So wie er dalag, war die Wunde hinter dem Ohr nicht zu sehen. Und w&#0228;hrend Studer mit dem Italiener &#0252;ber einen Fall von Versicherungsbetrug diskutierte, der in der Fachliteratur Aufsehen erregt hatte (ein Mann hatte sich erschossen und den Selbstmord als Mord kamoufliert), fragte Studer pl&#0246;tzlich:</p><p class="standard">&#0187;So etwas w&#0228;re er nicht m&#0246;glich, nicht wahr?&#0171; und er deutete mit dem Zeigefinger auf die Leiche.</p><p class="standard">&#0187;Ausgeschlossen&#0171;, sagte der Italiener, der sich inzwischen als Dr. Malapelle aus Mailand vorgestellt hatte.</p><p class="standard">&#0187;Ganz absolut unm&#0246;glich. Um die Wunde hervorzubringen, m&#0252;&#0223;te er gehalten haben seinen Arm so:...&#0171; Und er demonstrierte die Bewegung mit ganz zum Schulterblatt hin verdrehtem Ellbogen. Statt des Revolvers hielt er seinen F&#0252;llfederhalter in der Hand. Die Spitze des F&#0252;llfederhalters war nur etwa zehn Zentimeter von der Stelle hinter dem rechten Ohr entfernt, an der an der Leiche die Einschu&#0223;&#0246;ffnung zu sehen war.</p><p class="standard">&#0187;Ausgeschlossen&#0171;, wiederholte er. &#0187;Es h&#0228;tte Pulverspuren gegeben. Und gerade weil es keine solchen hat gegeben, haben wir geschlossen, die Distanz hat sein m&#0252;ssen mehr als ein Meter.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Hm&#0171;, meinte Studer. Er war nicht ganz &#0252;berzeugt. Er schlug das Tuch zur&#0252;ck, das &#0252;ber dem Toten lag. Merkw&#0252;rdig lange Arme hatte der Witschi ...</p><p class="standard">&#0187;Ergebenheit!&#0171; sagte Studer laut, so, als habe er endlich ein lang gesuchtes Wort gefunden. Es bezog sich auf den Gesichtsausdruck des Toten.</p><p class="standard">&#0187;Fatalismo! Ganz richtig! Er hat gewu&#0223;t, es ist alles aus. Aber ich wei&#0223; nicht, ob er hat gewu&#0223;t, er mu&#0223; sterben ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja&#0171;, gab Studer zu, &#0187;es kann sein, da&#0223; er etwas anderes erwartet hat. Aber etwas, gegen das man nicht ank&#0228;mpfen kann...&#0171;</p></div></div></div></body>
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