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    <title>pt03.html</title></head><body><div class="part WordXML" id="pt03"><div class="chapter"><h1 class="ueberschrift1" id="id0000004">Der Fall Wendelin Witschi zum ersten</h1><div class="section"><p class="TkOhne">&#0187;Ihr seid ...&#0171; (R&#0228;uspern.) &#0187;Ihr seid der Wachtmeister Studer?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Nehmt Platz.&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter war klein, mager, gelb. Sein Rock war &#0252;ber den Achseln gepolstert und von lilabrauner Farbe. Zu einem wei&#0223;en, seidenen Hemd trug er eine kornblumenblaue Krawatte. In den dicken Siegelring war ein Wappen eingraviert &#8210; der Ring schien &#0252;brigens alt.</p><p class="standard">&#0187;Wachtmeister Studer, ich m&#0246;chte Euch sehr h&#0246;flich fragen, was Ihr Euch eigentlich vorstellt. Wir kommt Ihr dazu, Euch eigenm&#0228;chtig &#8210; ich wiederhole: eigenm&#0228;chtig! in einen Fall einzumischen, der...&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter stockte und wu&#0223;te selbst nicht weshalb. Da sa&#0223; vor ihm ein einfacher Fahnder, ein &#0228;lterer Mann, an dem nichts Auff&#0228;lliges war: Hemd mit weichem Kragen, grauer Anzug, der ein wenig aus der Form geraten war, weil der K&#0246;rper, der darin steckte, dick war. Der Mann hatte ein bleiches, mageres Gesicht, der Schnurrbart bedeckte den Mund, so da&#0223; man nicht recht wu&#0223;te, l&#0228;chelte der Mann oder war er ernst. Dieser Fahnder also hockte auf seinem Stuhl, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die H&#0228;nde gefaltet...</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter wu&#0223;te selbst nicht, warum er pl&#0246;tzlich vom &#0187;Ihr&#0171; zum &#0187;Sie&#0171; &#0252;berging.</p><p class="standard">&#0187;Sie m&#0252;ssen begreifen, Wachtmeister, es scheint mir, als h&#0228;tten Sie Ihre Kompetenzen &#0252;berschritten ...&#0171; Studer nickte und nickte: nat&#0252;rlich, die Kompetenzen! ... &#0187;Was hatten Sie f&#0252;r einen Grund, den Eingelieferten, den ordnungsm&#0228;&#0223;ig eingelieferten Schlumpf Erwin noch einmal zu besuchen? Ich will ja gerne zugeben, da&#0223; Ihr Besuch h&#0246;chst opportun gewesen ist &#8210; das will aber noch nicht sagen, da&#0223; er sich mit dem Kompetenzbereich der Fahndungspolizei gedeckt hat. Denn, <i class="quote">Herr</i> Wachtmeister, Sie sind schon lange genug im Dienste, um zu wissen, da&#0223; ein fruchtbares Zusammenarbeiten der diversen Instanzen nur dann m&#0246;glich ist, wenn jede darauf sieht, da&#0223; sie sich streng in den Grenzen ihres Kompetenzbereiches h&#0228;lt ...&#0171;</p><p class="standard">Nicht einmal, nein, dreimal das Wort Kompetenz... Studer war im Bild. Das trifft sich g&#0252;nstig, dachte er, das sind die B&#0246;sesten nicht, die immer mit der Kompetenz aufr&#0252;cken. Man mu&#0223; nur freundlich zu ihnen sein und sie recht ernst nehmen, dann fressen sie einem aus der Hand...</p><p class="standard">&#0187;Nat&#0252;rlich, Herr Untersuchungsrichter&#0171;, sagte Studer und seine Stimme dr&#0252;ckte Sanftmut und Respekt aus, &#0187;ich bin mir bewu&#0223;t, da&#0223; ich wahr- und wahrhaftig meine Kompetenzen &#0252;berschritten habe. Sie stellten ganz richtig fest, da&#0223; ich es bei der Einlieferung des H&#0228;ftlings Schlumpf Erwin h&#0228;tte bewenden lassen sollen. Und dann &#8210; ja, Herr Untersuchungsrichter, der Mensch ist schwach &#8210; dann dachte ich, da&#0223; der Fall vielleicht doch nicht so klar liege, wie ich es anfangs angenommen hatte. Es k&#0246;nnte m&#0246;glich sein, dachte ich, da&#0223; eine weitere Untersuchung des Falles sich als n&#0246;tig erweisen w&#0252;rde und da&#0223; ich vielleicht mit deren Verfolgung betraut werden k&#0246;nnte, und da wollte ich im Bilde sein ...&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter war sichtlich schon vers&#0246;hnt.</p><p class="standard">&#0187;Aber, Wachtmeister&#0171;, sagte er, &#0187;der Fall ist doch ganz klar. Und schlie&#0223;lich, wenn dieser Schlumpf sich auch erh&#0228;ngt h&#0228;tte, das Malheur w&#0228;re nicht gro&#0223; gewesen &#8210; ich w&#0228;re eine unangenehme Sache los geworden und der Staat h&#0228;tte keine Gerichtskosten zu tragen brauchen ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Gewi&#0223;, Herr Untersuchungsrichter. Aber w&#0228;re mit dem Tode des Schlumpf wirklich der ganze Fall erledigt gewesen? Denn da&#0223; der Schlumpf unschuldig ist, werden auch Sie bald herausfinden.&#0171;</p><p class="standard">Eigentlich war eine derartige Behauptung eine Frechheit. Aber so ehrerbietig war Studers Stimme, so zwingend heischte sie Bejahung, da&#0223; dem Herrn mit dem wappengeschm&#0252;ckten Siegelring nichts anderes &#0252;brig blieb, als zustimmend zu nicken.</p><p class="standard">Mit braunem Holz waren die W&#0228;nde des Raumes get&#0228;felt, und da die L&#0228;den vor den Fenstern geschlossen waren, schimmerte die Luft wie dunkles Gold.</p><p class="standard">&#0187;Die Akten des Falles&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter ein wenig unsicher. &#0187;Die Akten des Falles ... Ich habe noch nicht recht Zeit gehabt, mich mit ihnen zu besch&#0228;ftigen ... Warten Sie ...&#0171;</p><p class="standard">Rechts von ihm waren f&#0252;nf Aktenb&#0252;ndel &#0252;bereinander-geschichtet. Das unterste, das d&#0252;nnste, war das richtige. Auf dem blauen Kartondeckel stand:</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="Tkzentriert">SCHLUMPF ERWIN <br/>MORD</p><p class="leerzeile">&#0160;</p><p class="TkOhne">&#0187;Leider&#0171;, sagte Studer und machte ein unschuldiges Gesicht. &#0187;Leider hat man in letzter Zeit ziemlich viel von mangelhaft gef&#0252;hrten Untersuchungen geh&#0246;rt. Und da w&#0228;re es vielleicht besser, wenn man sich auch bei einem so klaren Fall mit den notwendigen Kautelen umgeben w&#0252;rde ...&#0171;</p><p class="standard">Innerlich grinste er: Kommst du mir mit Kompetenz, komm ich dir mit Kautelen.</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter nickte. Er hatte eine Hornbrille aus einem Futteral gezogen, sie auf die Nase gesetzt. Jetzt sah er aus wie ein trauriger Filmkomiker.</p><p class="standard">&#0187;Gewi&#0223;, gewi&#0223;, Wachtmeister. Sie m&#0252;ssen nur bedenken, es ist meine erste schwere Untersuchung, und da wird mir nat&#0252;rlich Ihre Kompetenz in diesen Angelegenheiten...&#0171;</p><p class="standard">Weiter kam er nicht. Studer hob abwehrend die Hand.</p><p class="standard">Aber der Untersuchungsrichter beachtete die Bewegung nicht. Er hatte zwei Photographien in der Hand und reichte sie &#0252;ber den Tisch:</p><p class="standard">&#0187;Aufnahmen des Tatortes ...&#0171;, sagte er.</p><p class="standard">Studer betrachtete die Bilder. Sie waren nicht schlecht, obwohl sie von keinem kriminologisch geschulten Fachmann aufgenommen worden waren. Auf beiden sah man das Unterholz eines Tannenwaldes und auf dem Boden, der mit d&#0252;rren Nadeln &#0252;bers&#0228;t war &#8210; die Bilder waren sehr scharf &#8210;, lag eine dunkle Gestalt auf dem Bauch. Rechts am kahlen Hinterkopf, sch&#0228;tzungsweise drei Finger breit von der Ohrmuschel, gerade &#0252;ber einem d&#0252;nnen Haarkranz, der zum Teil den Rockkragen bedeckte, war ein dunkles Loch zu sehen. Es sah ziemlich absto&#0223;end aus. Aber Studer war an solche Bilder gew&#0246;hnt. Er fragte nur:</p><p class="standard">&#0187;Taschen leer?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Warten Sie, ich habe hier den Rapport vom Landj&#0228;gerkorporal Murmann ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ah&#0171;, unterbrach Studer, &#0187;der Murmann ist in Gerzenstein. So, so!&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Kennen Sie ihn?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Doch, doch. Ein Kollege. Hab ihn aber schon viele Jahre nicht gesehen. Was schreibt der Murmann?&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter drehte das Blatt um, dann murmelte er halbe S&#0228;tze vor sich hin. Studer verstand:</p><p class="standard">&#0187;... m&#0228;nnliche Leiche auf dem Bauche liegend ... Einschu&#0223; hinter dem rechten Ohr... Kugel im Kopf stecken geblieben ... wahrscheinlich aus einem 6,5 Browning ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;In Waffen kennt er sich aus, der Murmann!&#0171; bemerkte Studer.</p><p class="standard">&#0187;... Taschen leer...&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter.</p><p class="standard">&#0187;Was?&#0171; ganz scharf die Frage. &#0187;Haben Sie zuf&#0228;llig eine Lupe?&#0171; Alle H&#0246;flichkeit war aus Studers Stimme verschwunden.</p><p class="standard">&#0187;Eine Lupe? Ja. Warten Sie. Hier...&#0171;</p><p class="standard">Ein paar Augenblicke war es still. Durch einen Spalt der Fensterl&#0228;den fiel ein Sonnenstrahl gerade auf Studers Haar. Schweigend betrachtete der Untersuchungsrichter den Mann, der da vor ihm hockte, den breiten, runden R&#0252;cken und die grauen Haare, die gl&#0228;nzten, wie das Fell eines Apfelschimmels.</p><p class="standard">&#0187;Das ist lustig&#0171;, sagte Wachtmeister Studer mit leiser Stimme. (Was, zum Teufel, ist an der Photographie eines Ermordeten lustig! dachte der Untersuchungsrichter.) &#0187;Der Rock ist ja ganz sauber auf dem R&#0252;cken ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Sauber auf dem R&#0252;cken? Ja, und?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Und die Taschen sind leer&#0171;, sagte Studer kurz, als sei damit alles erkl&#0228;rt.</p><p class="standard">&#0187;Ich versteh&#8217; nicht...&#0171; Der Untersuchungsrichter nahm die Brille ab und putzte die Gl&#0228;ser mit seinem Taschentuch.</p><p class="standard">&#0187;Wenn ...&#0171;, sagte Studer und tippte mit der Lupe auf die Aufnahme. &#0187;Wenn Sie sich vorstellen, da&#0223; der Mann hier im Walde meuchlings &#0252;berfallen worden ist, da&#0223; ihn einer von hinten niedergeschossen hat, so geht aus der Lage der Leiche hervor, da&#0223; der Mann vorn&#0252;ber aufs Gesicht gefallen ist. Nicht wahr? Er liegt also auf dem Bauch, r&#0252;hrt sich nicht mehr. Aber seine Taschen sind leer. Wann hat man die Taschen geleert?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Der Angreifer h&#0228;tte den Witschi zwingen k&#0246;nnen, die Brieftasche auszuliefern:..&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Nicht sehr wahrscheinlich ... Was sagt das Sektionsprotokoll, wann der Tod mutma&#0223;lich eingetreten ist?&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter bl&#0228;tterte in den Akten, eifrig, wie ein Sch&#0252;ler, der gerne vom Lehrer eine gute Note bekommen m&#0246;chte. Merkw&#0252;rdig, wie schnell die Rollen sich vertauscht hatten. Studer hockte immer noch auf dem unbequemen Stuhl, der sicherlich sonst f&#0252;r die vorgef&#0252;hrten H&#0228;ftlinge bestimmt war, und doch sah es so aus, als ob <i class="quote">er </i>die ganze Angelegenheit in die Hand genommen h&#0228;tte ...</p><p class="standard">&#0187;Das Sektionsprotokoll&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter jetzt, r&#0228;usperte sich trocken, r&#0252;ckte an seiner Brille und las: &#0187;Zertr&#0252;mmerung des Occipitalknochens ... Mesencephalum ... steckengeblieben in der Gegend des linken... Aber das wollen Sie ja alles nicht wissen ... Hier... Tod approximativ zehn Stunden vor Auffindung der Leiche eingetreten ... Das wollten Sie wissen, Wachtmeister? Aufgefunden ist die Leiche zwischen halb acht und viertel vor acht Uhr morgens von Jean Cottereau, Oberg&#0228;rtner in den Baumschulen Ellenberger... Der Mord w&#0228;re also ungef&#0228;hr um zehn Uhr abends ver&#0252;bt worden.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Zehn Uhr? Gut. Wie stellen Sie sich die Szene vor? Der alte Witschi kommt von einer Tour zur&#0252;ck, er f&#0228;hrt mit seinem Zehnder ruhig nach Hause. Pl&#0246;tzlich wird er angehalten ... Schon da ist vieles nicht klar. Warum steigt er ab? Hat er Angst? Nehmen wir an, er sei angehalten worden. Gut, er wird gezwungen, seinen Karren an einen Baum zu lehnen, man treibt ihn in den Wald ... Warum nimmt ihm der Angreifer nicht auf der Stra&#0223;e die Brieftasche fort und dr&#0252;ckt sich? ... Nein! Er zwingt den Witschi, mit ihm hundert Meter &#8210; es waren doch hundert Meter? &#8210; in den Wald zu gehen. Schie&#0223;t ihn von hinten nieder. Der Mann f&#0228;llt auf den Bauch ... Wollen Sie mir sagen, Herr Untersuchungsrichter, wann ihm die Brieftasche mit den verschwundenen dreihundert Franken aus der Tasche genommen worden ist?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Brieftasche? Dreihundert Franken? Warten Sie, Wachtmeister. Ich mu&#0223; mich zuerst orientieren ...&#0171;</p><p class="standard">Stille. Eine Fliege summte dr&#0246;hnend. Studer hatte sich kaum bewegt, sein Kopf blieb gesenkt.</p><p class="standard">&#0187;Sie haben recht ... Frau Witschi gibt an, ihr Mann habe am Morgen zu ihr gesagt, er werde wahrscheinlich am Abend hundertf&#0252;nfzig Franken mitbringen. Es seien Rechnungen f&#0228;llig. Hundertf&#0252;nfzig Franken habe er noch besessen ... Telephonische Erkundigungen haben ergeben, da&#0223; wirklich zwei Kunden des Witschi ihre Rechnungen bezahlt haben. Die eine Rechnung betrug hundert Franken, die andere f&#0252;nfzig ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Die eine hundert und die andere f&#0252;nfzig? Merkw&#0252;rdig...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Warum merkw&#0252;rdig?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Weil der Schlumpf drei Hunderternoten in seinem Besitz gehabt hat. Eine, die er im &#8250;B&#0228;ren&#8249; gewechselt hat, und zwei, die ich ihm abgenommen habe. Wo ist die Brieftasche hingekommen?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Sie haben recht, Wachtmeister. Der Fall hat einige dunkle Punkte ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Dunkle Punkte!&#0171; Studer zuckte die Achseln.</p><p class="standard">Ein ungem&#0252;tlicher Mann, dachte der Untersuchungsrichter. Er war nerv&#0246;s wie seinerzeit beim Staatsexamen. Vielleicht war dieser Wachtmeister f&#0252;r Schmeichelei empf&#0228;nglich ... Darum sagte er:</p><p class="standard">&#0187;Ich sehe, Wachtmeister, da&#0223; Ihre praktische kriminologische Schulung der meinigen &#0252;berlegen ist ...&#0171;</p><p class="standard">Studer brummte irgend etwas.</p><p class="standard">&#0187;Was wollten Sie sagen?&#0171; Der Untersuchungsrichter legte die Hand ans Ohr, als wolle er kein Wort seines Gegen&#0252;bers verlieren.</p><p class="standard">Aber Studer schien auf einmal vergessen zu haben, wo er sich befand. Denn er z&#0252;ndete umst&#0228;ndlich eine Brissago an. </p><p class="standard">&#0187;Rauchen Sie nicht lieber eine Zigarette?&#0171; wagte der Untersuchungsrichter sch&#0252;chtern zu fragen, denn er ha&#0223;te den Brissagorauch. Er reichte dem Wachtmeister ein ge&#0246;ffnetes Etui &#0252;ber den Tisch. Studer sch&#0252;ttelte ablehnend den Kopf. Ihm, dem Wachtmeister Studer, Zigaretten mit Goldmundst&#0252;ck! ...</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter fragte in die Stille:</p><p class="standard">&#0187;Wo haben Sie sich Ihre praktischen Kenntnisse angeeignet, Herr Studer?&#0171; Aber nicht einmal der Wechsel in der Anredeform &#8210; Herr Studer statt Wachtmeister &#8210; vermochte den schweigenden Mann aus seinem Gr&#0252;beln zu wecken.</p><p class="standard">&#0187;Wie kommt es, da&#0223; Sie es mit Ihren Kenntnissen nicht wenigstens zum Polizeileutnant gebracht haben?&#0171;</p><p class="standard">Studer fuhr auf:</p><p class="standard">&#0187;Was? ... Wie meinen Sie? ... Haben Sie einen Aschenbecher?&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter l&#0228;chelte und schob eine Messingschale &#0252;ber den Tisch.</p><p class="standard">&#0187;Ich hab seinerzeit beim Professor Gro&#0223; in Graz gearbeitet. Und warum ich es nicht weiter gebracht habe? Wissen Sie, ich hab&#8217; mir einmal die Finger verbrannt an einer Bankaff&#0228;re. Damals war ich Kommiss&#0228;r bei der Stadtpolizei ... Ja, und w&#0228;hrend des Krieges ... Nach der Bankaff&#0228;re bin ich in Ungnade gefallen und hab&#8217; wieder von unten anfangen m&#0252;ssen ... Das gibt es ... Aber was ich sagen wollte: wie gedenken Sie die Angelegenheit zu behandeln? Was f&#0252;r Schritte werden Sie unternehmen?&#0171;</p><p class="standard">Zuerst wollte der Untersuchungsrichter den Mann an seinen Platz verweisen, ihm klarmachen, hier habe <i class="quote">er </i>zu befehlen, <i class="quote">er </i>trage schlie&#0223;lich die Verantwortung f&#0252;r die Untersuchung ... Aber dann verwarf er diese Aufwallung. Der Blick Studers hatte etwas so Erwartungsvoll-&#0196;ngstliches ... Darum sagte er ziemlich vers&#0246;hnlich:</p><p class="standard">&#0187;Nun, wie gewohnt, denk ich. Die Familie Witschi vorladen, den Meister des ... des ... Angeklagten ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Schlumpf Erwin&#0171;, unterbrach Studer, &#0187;vorbestraft wegen Einbruch, Diebstahl und anderer kleinerer Delikte ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ganz richtig. Im Grunde also eine Pers&#0246;nlichkeit, der man das Verbrechen gut zutrauen k&#0246;nnte, nicht wahr?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Schon ... m&#0246;glich ...&#0171; Pause. &#0187;Aber auch ein Vorbestrafter kann nicht zaubern ... Und der Schlumpf wird nicht das Maul auftun ... Sie werden lange fragen k&#0246;nnen. Der l&#0228;&#0223;t sich lebensl&#0228;nglich nach Thorberg schicken &#8210; und wenn er einmal dort ist, h&#0228;ngt er sich wieder auf. Im Grund ist es schad&#8217; um den Burschen ... Ja, es ist schad&#8217; um ihn...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ihre Menschlichkeit in Ehren, Herr Studer, aber... Wir haben eine Untersuchung zu f&#0252;hren, oder?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, ja ... &#0220;brigens ist die Leiche noch in Gerzenstein?&#0171; Wieder bl&#0228;tterte der Untersuchungsrichter in den Akten.</p><p class="standard">&#0187;Sie ist am Mittwochabend ins Gerichtsmedizinische Institut &#0252;berf&#0252;hrt worden. Der Regierungsstatthalter von Roggwil hat das angeordnet ...&#0171;</p><p class="standard">Studer z&#0228;hlte an den Fingern ab:</p><p class="standard">&#0187;Am Mittwoch, dem dritten Mai um halb acht Uhr morgens wird die Leiche gefunden. Gegen Mittag die erste Obduktion von Doktor... Doktor... Wie hei&#0223;t er schon?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Dr. Neuenschwander.&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Neuenschwander. Gut. Mittwochabend wechselt Schlumpf die Hunderternote im &#8250;B&#0228;ren&#8249;. Donnerstag Flucht. Heute, Freitag, verhafte ich ihn bei seiner Mutter. Wann ist die Leiche ins Gerichtsmedizinische Institut gebracht worden?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Mittwochabend ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Wann glauben Sie, k&#0246;nnen wir den Rapport vom Institut haben?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ich habe gedacht, wir k&#0246;nnten den Angeklagten mit der Leiche konfrontieren. Was meinen Sie dazu?&#0171; Die Frage war h&#0246;flich, aber der Untersuchungsrichter dachte dabei: Wenn der Kerl nur bald abschieben w&#0252;rde, die Brissago stinkt, er ist aufdringlich, ich werde mich bei der Beh&#0246;rde beschweren, aber was n&#0252;tzt mir das? Deswegen werd&#8217; ich ihn doch nicht so bald los. Also seien wir freundlich ...</p><p class="standard">&#0187;Konfrontieren?&#0171; wiederholte Studer. &#0187;Damit er wieder einen Fluchtversuch macht?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Was? Er hat Ihnen durchbrennen wollen? Und Sie haben mir nichts davon gesagt?&#0171;</p><p class="standard">Studer sah den Untersuchungsrichter mit seinen ruhigen Augen an. Er zuckte die Achseln. Was sollte man auf solche Fragen antworten?</p><p class="standard">&#0187;Ich will ganz offen mit Ihnen sein, Herr Untersuchungsrichter&#0171;, sagte Studer pl&#0246;tzlich, und seine Stimme klang merkw&#0252;rdig dumpf und erregt. &#0187;Wir haben lange genug herumgeredet. Sie denken bei sich: Dieser alte, abges&#0228;gte Fahnder, der knapp vor der Pensionierung steht, will sich wichtig machen. Er dr&#0228;ngt sich auf. Ich werd ihm aber schon aufs Dach geben lassen. Heut am Abend noch, sobald er fort ist, telephoniere ich an die Polizeidirektion und beschwere mich ...&#0171;</p><p class="standard">Schweigen. Der Untersuchungsrichter hatte einen Bleistift in der Hand und zeichnete Kreise aufs L&#0246;schblatt. Studer stand auf, packte die Lehne des Stuhles, schwang den Stuhl herum, bis er vor ihm stand, st&#0252;tzte sich auf die Lehne &#8210; und die Brissago qualmte, die zwischen zwei Fingern stak &#8210; und dann sagte er:</p><p class="standard">&#0187;Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Untersuchungsrichter. Ich reiche gern meine Demission ein, wenn der Fall nicht so untersucht wird, wie ich es w&#0252;nsche. Aber wenn ich dann demissioniert habe, dann kann ich machen, was ich will. Es wird lustig werden. Ich hab&#8217; dem Schlumpf versprochen, seine Sache in die Hand zu nehmen ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Sind Sie F&#0252;rsprech geworden, Wachtmeister?&#0171; warf der Untersuchungsrichter sp&#0246;ttisch ein.</p><p class="standard">&#0187;Nein. Aber ich kann ja einen nehmen. Einen, der die ganze Anklage &#0252;ber den Haufen wirft &#8210; w&#0228;hrend der Schwurgerichtsverhandlung. Wenn Sie das lieber wollen? Aber Sie m&#0252;ssen sich das recht lebhaft vorstellen! Sie werden als Zeuge von der Verteidigung vorgeladen werden, und dann wird man Ihnen alle Fehler der Voruntersuchung vorhalten ... Wird Ihnen das gefallen?&#0171;</p><p class="standard">Der Kerl ist ja ganz verr&#0252;ckt! dachte der Untersuchungsrichter. Der richtige Querulant! Warum hat man gerade diesen Studer zur Verhaftung abkommandiert! Ein Gerechtigkeitsfanatiker! Da&#0223; es so etwas noch gibt! Ich habe die ganze Zeit eingelenkt ... Kann der Mann denn Gedanken lesen? Dumme Geschichte! Und wenn dieser Schlumpf unschuldig ist, dann gibt es wom&#0246;glich einen Skandal, Leute geraten in Verdacht. Es wird doch besser sein, ich arbeite mit dem Kerl ... Laut sagte er:</p><p class="standard">&#0187;Das hat ja alles keinen Sinn, Wachtmeister. Ich wei&#0223; nur wenig von der Sache. Und drohen? Warum fahren Sie gleich so schweres Gesch&#0252;tz auf? Hab&#8217; ich mich geweigert, Sie anzuh&#0246;ren? Sie sind ungeduldig, Herr Studer. Wir k&#0246;nnen doch ganz ruhig die Sache besprechen. Sie sind sehr empfindlich, Wachtmeister, scheint mir, aber Sie m&#0252;ssen denken, da&#0223; andere Leute manchmal auch Nerven haben ...&#0171;</p><p class="standard">Der Untersuchungsrichter wartete, und w&#0228;hrend des Wartens starrte er auf die qualmende Brissago in Studers Hand...</p><p class="standard">&#0187;Ach so!&#0171; sagte Studer pl&#0246;tzlich. &#0187;Das also ...&#0171; Er ging zum Fenster, stie&#0223; die L&#0228;den auf und warf die Brissago hinaus. &#0187;Ich h&#0228;tt&#8217; daran denken sollen. Leute wie Sie ... War das der Grund? Ich hab&#8217;s gesp&#0252;rt, da&#0223; Sie etwas gegen mich haben, und gedacht, es sei wegen dem Schlumpf ... Und dann war&#8217;s nur die Brissago?&#0171; Studer lachte.</p><p class="standard">Komischer Mensch! dachte der Untersuchungsrichter. Versteht doch allerhand! ... Der Brissagorauch! Kann so etwas eine feindliche Stimmung ausl&#0246;sen? ... In diese Gedanken hinein sagte Studer:</p><p class="standard">&#0187;Merkw&#0252;rdig. Manchmal ist es nur eine unbedeutende Angewohnheit, die uns bei einem Menschen auf die Nerven f&#0228;llt: das Rauchen einer schlechten Zigarre zum Beispiel. Bei mir sind&#8217;s die teuren Zigaretten mit Goldmundst&#0252;ck ...&#0171; Und setzte sich wieder:</p><p class="standard">&#0187;So, so&#0171;, sagte der Untersuchungsrichter nur. Aber innerlich f&#0252;hlte er allerhand Hochachtung f&#0252;r den Gedankenleser Studer. Und dann meinte er:</p><p class="standard">&#0187;Ich m&#0246;chte jetzt den Schlumpf, Ihren Sch&#0252;tzling, vorf&#0252;hren lassen. Wollen Sie dabei sein?&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Doch. Gern. Aber vielleicht sind Sie so gut ...&#0171;</p><p class="standard">&#0187;Ja, ja&#0171;, der Untersuchungsrichter l&#0228;chelte, &#0187;ich werd&#8217; ihn schon so behandeln, da&#0223; er sich nicht wieder aufh&#0228;ngt, wenigstens vorl&#0228;ufig ... Ich kann n&#0228;mlich auch anders... Und ich will mit dem Staatsanwalt reden. Wenn eine weitere Untersuchung n&#0246;tig sein sollte, fordern wir <i class="quote">Sie </i>an ...&#0171;</p></div></div></div></body>
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